Der Waechter
wäre nicht auszudenken gewesen, was geschehen wäre, hättest du dich der Gegenseite angeschlossen und Konrad vielleicht mit dir gerissen. Natürlich vertrauten wir Konrad, aber man muss in so einer Situation alle Eventualitäten bedenken. Und auch wenn wir von Konrads Loyalität überzeugt waren, so konnten wir doch höchstens erahnen, wie es sein muss, sich nach seinem anderen Teil zu sehnen. Überhaupt war es uns wichtig, dass du dich nicht aus Liebe zu Konrad für unsere Seite entscheidest, sondern aus Überzeugung. Daher haben wir dir den Raum gegeben, den du brauchtest. Ein weiterer Aspekt war, dass wir natürlich um euch beide bangen mussten, wenn ihr stets zusammen ward. Wir wussten nicht, ob ihr im Falle der Not schon in der Lage sein würdet, das zu tun, was euch laut Prophezeiung so stark machen würde. Erst in der Nacht, als Konrad sich mit deinem Fragment verbunden hatte, wussten wir, worauf die Prophezeiung hinausläuft. Bis dahin seid ihr durch eure ständige Nähe beide in Gefahr gewesen. Und einen Teil zu retten ist besser, als beide zu verlieren, verstehst du? Aber spätestens nach besagter Nacht war auch den letzten Zweiflern klar, dass ihr zusammenbleiben musstet.»
«Hey, hört euch das an!» Arthur sprach vom Wohnzimmer zu ihnen herüber.
Er saß im Sessel und hatte auf dem kleinen Beistelltisch ein Radio stehen, an dessen Lautstärkeregler er drehte.
«… kam es heute am Nachmittag zu einer Massen-Messerstecherei, bei der drei Menschen getötet und mehrere, teilweise schwer, verletzt wurden. Die Ursache für die Auseinandersetzung ist bisher noch unbekannt. Die Behörden arbeiten mit einer eigens dafür eingerichteten Sonderkommission an der Aufklärung. Für sachdienliche Hinweise wenden Sie sich bitte …»
Arthur regelte die Lautstärke wieder nach unten. Keiner sprach ein Wort. Jenny sah betrübt zu Boden. Auf einmal war ihr zum Weinen zumute. Bei all den Dingen, die man den Dunklen anlasten konnte, waren sie doch auch Menschen. Ein Mensch, der sich unter einer einfachen Beseelung vielleicht weniger bösartig entwickelt hätte.
«Was passiert jetzt weiter? Die Polizei wird nach uns suchen!» Jenny schluckte. «Sie werden als Erstes auf mich kommen. Jeder weiß, dass ich nachsitzen musste und meine Schulsachen hab ich auch zurückgelassen in der Eile.»
«Keine Sorge!» Arthur erhob sich vom Sessel nahm sein Glas vom Wohnzimmertisch und kam zu ihnen ins Esszimmer herüber. «Wir haben Aufräumer geschickt. Ihre Fähigkeiten sind nützlich und sie haben sich um alles gekümmert. Rein gar nichts wird zu uns führen. Und was dich betrifft, so können wir bezeugen, dass du längst hier bei Konrad zu Hause warst, als Hauptmann noch immer putzmunter in der Schule war. Die verletzten Schattenträger werden in den Krankenhäusern aufgepäppelt und uns bald wieder Scherereien machen. Sie erholen sich sehr schnell. Die Toten werden begraben und ihr Fragment kehrt nach Hause zurück. Seelenträger gibt es, wie du schon gemerkt hast, überall. Auch in den Behörden, bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft, den Richtern. Natürlich gibt es dort Weiße wie Dunkle. Der Kampf geht also weiter, wenn auch auf einer anderen Ebene. Möge der bessere gewinnen!» Arthur erhob sein Glas, nickte Jenny zu und trank es mit einem Schluck leer.
«Wir sind jetzt also sicher? Auch vor den Dunklen?», vergewisserte sich Jenny noch einmal.
Samuel zuckte die Schultern. «So sicher, wie man als Animus sein kann. Die Weißen werden die Dunklen unter Kontrolle halten müssen, die immer nach der größeren Macht streben werden. Aber der mächtigste Dunkle eines sehr großen Gebietes ist besiegt und so wird es wesentlich ruhiger und leichter werden, die kleinen Schattenträger klein zu halten. Und stell dir vor, was du durch deine Fähigkeiten alles sehen kannst. Nicht nur hier, sondern auch dort, wo andere Gebiete, andere Länder in Nöten sind.»
«Und was ist mit dem anderen Sauger? Dem zweiten aus meinen Visionen?», unterbrach Jenny.
Samuel sortierte sich auf seinem Stuhl. «Sauger hat es immer gegeben und wird es immer geben. Wichtig ist, dass sie nicht so mächtig werden, wie Hauptmann es geworden ist. Es wird unsere Hauptaufgabe sein, sie alle aufzuspüren und im Zaum zu halten.»
Nach einer Weile räusperte sich Jenny verlegen und rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.
«Äh, jetzt wo ich ein offizielles Bundmitglied bin oder so gut wie, darf ich dann wissen, was für ein Auftrag es war, den Konrad
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