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Der Waechter

Der Waechter

Titel: Der Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. Snyder
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zwischen Schule und Training bei Freundinnen. Sie machten dann gemeinsam Hausaufgaben, aber vor allem viel Blödsinn. Geredet wurde fast ausnahmslos über Jungs. Wer gerade in wen verliebt war, wer mit wem was hatte oder gerne hätte. Ein sehr beliebter Zeitvertreib war es, den jeweils Angebeteten anzurufen, um seine Stimme zu hören. Entweder legten die Mädchen dann sofort wieder auf, oder eine der Mitverschwörerinnen wurde dazu genötigt, den Jungen in ein Gespräch zu verwickeln und heraus zu bekommen, wie er die frisch Verliebte fand. Es kam nicht selten vor, dass ein Junge am gleichen Mittag zehn Anrufe mit anschließendem Auflegen erhielt. Was Rene betraf, so konnte er sicher ganze Logbücher damit füllen.
    Jenny rückte ihren Rucksack zurecht. Es war ein winziger Moment, gerade ein Wimpernschlag lang, in dem ihr der Duft der Spiere vor dem Schuhladen in die Nase drang. Jenny schloss die Augen und sog den lieblichen Duft genüsslich ein. Er war verbunden mit vielen Erinnerungen an ihre Kindheit. In der Siedlung am Stadtrand, wo sie, bis sie fast sieben war, gelebt hatte, stand eine Reihe von Spierebüschen um den Spielplatz herum. Der Duft der Blüten lag ständig in der Luft. Jenny lächelte. Ganz kurz spürte sie ein dumpfes Drücken im Bauch, wie in einem Fahrstuhl, der nach unten raste. Bunte Nebelschwaden zogen in ihrem Innern vorüber. Irritiert öffnete sie wieder die Augen.
    Was ist jetzt los? Wo bin ich?
    Erschrocken drehte sie sich im Kreis. Die Fußgängerzone war weg, kein Schuhladen, nichts. Aber sie kannte den Ort. Es war die Siedlung am Stadtrand, in der sie groß geworden war, die, an die sie eben noch gedacht hatte. Da standen sie: die Spiere-Sträucher in Front der Mehrparteienhäuser, gegenüber der Spielplatz, drum herum die Hochhäuser mit den Garagen, nach hinten in Richtung Innenstadt der Park mit dem Altersheim, der Bach, über den die Brücke zu Jennys altem Kindergarten führte. Nichts hatte sich verändert. Das war keine Erinnerung, kein Traum. Sie war tatsächlich da. Innerhalb eines Wimpernschlages war sie an einen Ort gelangt, der mehr als zwei Kilometer von der Innenstadt entfernt lag.
    Ich bin da. Ganz real.
    Jennys Herz raste, sie atmete hektisch.
    Das kann nicht sein. Es kann einfach nicht sein. Es muss eine Erklärung geben. Ich schlafe!
    Jenny versuchte sich zu erinnern, wann sie ins Bett gegangen war. Sie musste träumen. Es konnte nicht anders sein. Sie träumte einen dieser realistischen Träume. Fast wurde sie panisch. Sie war nicht ins Bett gegangen! Gerade eben noch war sie durch die Stadt gelaufen!
    Ganz ruhig, Jenny. Konzentrier dich!
    Sie versuchte, regelmäßig und tief zu atmen.
    Ganz ruhig Jenny. Es gibt für alles eine Erklärung.
    Ein Artikel über Blackouts, den sie gelesen hatte, kam ihr in den Sinn. Bei einem Blackout verlor man einen ganzen Zeitabschnitt, vergleichbar mit einem Filmriss. Der Betroffene konnte sich nicht erinnern, was er unmittelbar zuvor getan hatte. So ähnlich wie beim Schlafwandeln.
    Ja, ein Blackout!
    Blackouts konnten Nebenwirkungen bei der Einnahme von Drogen oder Symptome diverser Erkrankungen sein. Da sie keine Drogen nahm, konnte sie die Nebenwirkungen-Theorie ausschließen. Aber was eine Krankheit betraf: Das konnte passen. Ihre Sehprobleme, die angeblich zur Migräne gehörten, die starken Kopfschmerzen.
    Ich bin krank!
    Das war zwar eine Erklärung, aber keine Beruhigung. Nervös schaute Jenny auf die Uhr. Wie lange war sie unterwegs gewesen? Als sie das letzte Mal auf die Uhr gesehen hatte, war es fünf Minuten vor vier. Die Uhr tickte, trotzdem musste sie defekt sein, denn sie zeigte zwei Minuten vor vier Uhr an. Die Uhr war sicher kaputt. Zu Fuß musste sie etwa vierzig Minuten hierher gebraucht haben. Nur wenn sie sich beeilte, konnte sie pünktlich zum Training sein. Sie würde später darüber nachdenken, wie sie hergekommen war.
    Jenny passierte die Garagen der Mehrfamilienhäuser und ging entlang des großen Hofes auf die Querstraße zu. In dem Haus zur Rechten hatte sie als Kind gewohnt. Kurz schaute sie den Weg entlang, der zur Haustür führte. Sie konnte sich so gut erinnern: Auf der Wiese davor hatten sie als Kinder gespielt, und natürlich auf dem Spielplatz. Neben dem Hochhaus links von ihr stand die alte Trauerweide, deren Astspitzen über den Rasen streiften. Sie hatten sich als Kinder gern darunter versteckt. Regelmäßig bekamen sie Ärger deswegen, weil der Hausmeister es streng verboten hatte, auf dem

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