Der Waechter
er.
Jenny zog das Bein nach hinten, holte aus und peilte mit der Fußspitze Benedicts Kniescheibe an. Ein kleiner, belustigter Hüpfer von ihm genügte, um Jenny ins Leere treten zu lassen.
«Also gut, Kleine. Schluss mit lustig! Fangen wir mal mit den wichtigen Dingen des Lebens an.» Zum Ansporn klatschte er in die Hände. «Wichtig ist, dass du in jede Bewegung deine Energie legst. Schlägst du mit der Faust zu, leite deine Energie in deine Hand, dort verdichtest du sie. Deine Faust wird dann einem Betonklotz gleichen. Trittst du mit dem Bein zu, leitest du deine Kraft dahin, und während du zutrittst, verdichtest du sie. Geballte Ladung, du verstehst?»
«Du hast leicht reden», grummelte sie.
«Du machst es genauso, wie du meine Faust abgewehrt hast: Du dehnst deinen Energiekörper nach außen und spannst ihn an, dadurch wird er fester. Und zusätzlich verstärkst du das Ganze gezielt an den Stellen, die du zum Einsatz bringst. Ganz einfach also.»
Ja sicher, ganz einfach!
Das war der erste Teil, den sie übten. Jenny trat mit dem Bein in die Luft und presste ihre Energie ins Bein hinunter, dann spannte sie ihre Kraft an. Sie wiederholte es immer wieder. Beim ersten Mal tat sich nichts. Nach unzähligen Tritten konnte sie endlich ihren Energiekörper nach unten gleiten sehen und spürte, wie er den Tritt beschleunigte. Auch Hände, Arme, Knie und Ellenbogen kamen zum Einsatz. Es war frustrierend, wie schwer es war die Energie so gezielt zu lenken. Jenny kam in der ersten Trainingseinheit kaum voran. Benedict zeigte sich aber zufrieden.
«Kein Grund zu verzweifeln, Kleine. Du warst toll! Kommen wir zum Schwertkampf.»
«Jetzt noch? Ich bin total fertig!», stöhnte Jenny.
«Deswegen haben wir nach dem Training immer eine weitere Regeneration angesetzt. Ich zeige dir kurz die Schwertführung. Es wird dich nicht anstrengen.»
Benedict ging an den Rand des Raumes, hob eine Schwerttasche samt Inhalt vom Boden auf und holte sein Schwert, das an der Wand lehnte. Er nahm es mit beiden Händen am Griff, hielt es vor sich und betrachtete es inbrünstig.
«Dein Schwert ist dein wichtigster Helfer. Ihr beide seid eine Einheit. Wenn du den Griff in die Hand nimmst, muss er mit dir verschmelzen. Du gibst all deine Liebe, all deine Energie hinein und mit der Geschwindigkeit deines Fragments, führst du es zum Ziel.»
Benedict holte aus und führte die Klinge durch die Luft in die Höhe. Seine Augen funkelten vor Erregung. Jenny erkannte, dass es noch andere Dinge als die Körpergröße und Muskeln gab, die einen wahren Krieger ausmachten. Sie würde sich kaum derart für eine Waffe begeistern können.
«Wo bekommt man so was her?», fragte sie ganz pragmatisch. «Ich habe noch nie ein echtes Schwert gesehen.» Der Griff glänzte silbern. Jenny entdeckte eingelassene Edelsteine als Verzierung.
Wow! Als Accessoire macht so ein Ding ordentlich was her!
Benedict legte sein Schwert neben sich auf den Boden und hob die lederne Tasche auf.
«Es gibt ein paar Schmiede, aber sie werden im Regelfall nur gebraucht, um die Schwerter aufzumotzen. Im Grunde sind es Erbstücke. Sie werden weitergereicht, innerhalb der Humānimus-Familie. Jedes Schwert hat seine eigene Geschichte.»
Kurz zuckte ein Lächeln um Benedicts Mundwinkel, dann wurde er ernst. Er öffnete die Schwerttasche und zog das Schwert aus der Scheide darin. Jenny zog scharf die Luft ein.
«Es ist wunderschön!», kam es ihr ungewollt über die Lippen.
Es glänzte im reinsten Silber und am Griff glitzerten rosafarbene, hellblaue und transparente Edelsteine. Ihre Augen wurden groß, wie Zauberkugeln.
«Es ist wunderschön», wiederholte sie abwesend.
«Ja», antwortete Benedict und betrachtete es wehmütig. «Das ist es.» Dann legte er es waagrecht in beide Hände und reichte es Jenny.
Anstatt danach zu greifen, machte sie einen Schritt nach hinten.
«Ich soll damit trainieren?» Ungläubig starrte sie ihn an.
«Nein», antwortete er ruhig. «Du sollst es haben. Es ist deins!»
Jenny hielt sich die Hand vor die Brust, als wolle sie ihr Herz schützen.
«Nein! Das kann ich nicht annehmen. Es ist viel zu wertvoll.»
Benedicts Gesicht entspannte sich und er lächelte Jenny brüderlich an.
«Nein, es ist wie für dich gemacht. Konrad möchte, dass du es bekommst.» Er machte eine Pause. «Und ich auch.»
Jenny staunte mit offenem Mund. Sie wollte etwas sagen, aber sie konnte nicht. Die Geste hatte sie überwältigt. Vorsichtig kam sie wieder näher und
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