Der Waechter
«Diese Fähigkeit ist ebenso ungewöhnlich wie das Zeitreisen und es kann gefährlich sein. Erstens ist nicht immer klar, mit wem du dich da verbindest, zweitens weißt du nicht, ob du das, was du fühlst, erlebst, erfährst, leicht verkraften kannst. Du könntest ein Trauma zurückbehalten. Und vorher musst du lernen, dich und deine Energie zu schützen und sie zu regenerieren. Das Kämpfen wird eines von den wichtigsten Dingen sein, die du lernst. Denn es schärft deine Sinne und das Gefühl für die Stärke deiner Energie. Und es lehrt dich das geschickte Titrieren deiner Kräfte. Abgesehen davon macht es tierischen Spaß.» Cynthia lachte.
Plötzlich war alles so aufregend für Jenny.
Sie hatte sich entschieden ein Mitglied des Weißen Bundes zu werden. Ihre Fähigkeiten waren zu wichtig, als dass sie sie nicht einsetzte. Justin, die Frau in der Gartenlage und Arthur, sie wären im schlimmsten Fall getötet worden ohne ihre Hilfe. Jenny spürte, dass es richtig war, sich dem Bund anzuschließen. Vielleicht war es ihr irgendwann möglich ebenso auf die Richtigkeit seiner Entscheidungen zu vertrauen, wie Konrad es tat. Konrad würde weiter dem Auftrag Stefanie betreffend nachgehen. Jenny hatte inzwischen begriffen, dass es gefährlich war, Näheres zu wissen. Sie konnte ihre Gedanken nicht genügend abschirmen. Dennoch schmerzte es sie, Konrad in Stefanies Nähe zu sehen. Für sie musste es so aussehen, dass Jenny etwas mit Konrad am Laufen gehabt hatte, er sie aber dann fallen ließ, weil er auf Stefanie stand. Die halbe Schule musste es so sehen. Keinem war entgangen, dass Konrad und Jenny ein paar Mal gemeinsam die Schule verlassen hatten, dann aber kaum noch miteinander redeten und Konrad schließlich ständig um Stefanie herum war. Selbst wenn er sie nicht anfasste und sie kein Paar waren. Jeder würde glauben, dass sich etwas zwischen den beiden entwickelte. Jenny war nur froh, dass sie Nina gegenüber jegliche Beziehung zu Konrad bestritten hatte. Sie hätte ihr niemals plausibel machen können, wieso er nun ständig um Stefanie herumschwirrte.
Autsch!
«Ich bin bloß in ihrer Nähe, aber habe nichts mit ihr. Ich bin Profi!», hatte er klargestellt. «Ich muss die Balance halten zwischen professioneller Distanz und Nähe, um alles Wichtige mitzubekommen.»
«Jeder Tag wird nahezu gleich ablaufen. Die Unterrichtseinheiten sind optimal aufeinander abgestimmt», sagte Samuel. «Nach der Schule kommst du zu uns und isst erst einmal zu Mittag. Dann trainierst du eine Stunde lang mit Ruth die Regeneration. Von drei bis vier ist bei Cynthia Abschirm- und Wahrnehmungstraining angesagt. Von vier bis sechs teilen sich Benedict, Cynthia und Arthur das Kampftraining. Arthur ist bis Ende der Woche wieder fit genug. Du weißt ja: Ruths Heilbehandlungen. Nach dem Kampftraining ist die Regeneration wichtig, um deine Energie wieder aufzupäppeln. Dafür hast du eine halbe Stunde Übungszeit. Bis zum Abendessen. Danach geht’s ab nach Hause zu Mutti.» Samuel nahm seine Brille von der Nase und wischte mit einem Zipfel seines Pullovers wild über die Gläser. «Ach ja, nur mittwochs verkürzen wir das jeweilige Training um die Hälfte. Denn da sollst du ganz normal in dein Handballtraining gehen. Es ist wichtig, dass du einen Anschein von Normalität bewahrst.»
«Ja, das kommt mir sehr entgegen. Meine Freundinnen fragen nämlich jetzt schon, warum ich mich nicht mehr so oft bei ihnen blicken lasse und was ich so treibe nach der Schule.»
«Na, dann legen wir mal los, Liebes», sagte Ruth.
Das Regenerationstraining war die reinste Wohltat. Es begann damit bequem in einem Sessel zu sitzen, tief ein- und auszuatmen und die Energie zu aktivieren. Jenny hatte inzwischen eine Art Technik dafür entwickelt. Sie sprach einfach mit ihrer Energie. Sagte sich selbst so Dinge wie : komm raus , werde größer , zieh dich zusammen , und es funktionierte. Richtig stark wurde es, wenn sie anfing, es sich bildlich vorzustellen. Nach einer Weile glitten dann bunte Nebelschwaden vor ihrem geistigen Auge vorbei, und wenn sie die Augen öffnete, sah sie den schmalen, hellblauen Film wellenartig um ihren rosafarbenen Lichtkörper fließen.
«Und nun konzentriere dich auf deine Verbindung zur Quelle, den goldenen Strahl, der dich mit den Gesandten und schließlich mit der Quelle verbindet», hörte sie Ruths ruhige Stimme.
Ein goldener Lichtstreifen floss hinter Jennys geschlossenen Augen von oben nach unten, dann von links nach
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