Der Wächter
Filmstar sich bestimmt schon von ihrem dramatischen Erscheinungsbild beeindrucken ließ. Ihre Leichenblässe, das hagere Gesicht und der Körper einer magersüchtigen Nonne würden als Beweis dafür gesehen werden, dass Brittina sich kaum um fleischliche Genüsse scherte, ein weitgehend geistiges Leben führte und deshalb eine echte Intellektuelle war.
In der Unterhaltungsindustrie zählte nur das Image. Deshalb würde Manheim glauben, dass der äußere Schein auch in anderen Berufen mit der Wirklichkeit übereinstimmte.
Außerdem war Brittina Dowd ein intellektueller Snob und tränkte ihre Rede mit einem Fachjargon, der unverständlicher war als die Laborsprache von Mikrobiologen. Wenn nicht schon der ausgemergelte Leib der jungen Frau den Filmstar von ihren intellektuellen Fähigkeiten überzeugte, dann würde es ihre große Klappe tun.
Am Abend bevor Brittina zu ihrem Vorstellungsgespräch gefahren war, hatte Corky seinen ganzen Charme spielen lassen, und es hatte sich gleich gezeigt, dass sie nicht nur nach Nahrung hungerte, sondern auch nach Schmeicheleien. Sie gestattete sich, ihrem Appetit auf Leidenschaft nachzugeben, worauf Corky sie zum ersten Mal beglückte.
Wenig später wurde sie Aelfric Manheims Lehrerin für Englisch und Literatur. Von da an war sie regelmäßig im Palazzo Rospo zu Gast.
Vor diesem glücklichen Zufall hatten Rolf Reynerd und Corky nur ganz allgemein darüber diskutiert, wie man der Gesellschaftsordnung einen Schlag zufügen könne, indem man demonstriere, dass selbst eine weltbekannte Berühmtheit den Kämpfern des Chaos hilflos ausgeliefert sei. Auf ein ideales Ziel hatten sie sich erst einigen können, nachdem Corkys Geliebte von Channing Manheim eingestellt worden war.
Im Bett und außerhalb hatte Corky von Brittina eine Menge über die Villa Rospo erfahren. Zum Beispiel hatte er über sie vom Vorhandensein des Anschlusses Nummer 24 erfahren. Vor allem aber hatte sie ihm vom Wachmann Ned Hokenberry berichtet, dem tapferen Verteidiger von Peaches and Herb, der laut Fric entlassen worden sei, weil er fingierte Botschaften auf dem für die Toten reservierten Anrufbeantworter hinterlassen habe.
Außerdem hatte Brittina für Corky ein detailliertes psychologisches Porträt von Manheims Sohn entworfen. Ein solches würde sich als unschätzbar erweisen, wenn er Aelfric erst einmal in den Händen hatte und sich daranmachen konnte, ihn emotional zu zerstören.
Im Nachglühen insektenhafter Ekstase hatte Brittina nicht ein einziges Mal den Argwohn gehegt, Corkys Interesse an allem, was Channing Manheim betraf, könne mehr als nur simple Neugier sein. Sie war eine unwissentliche Komplizin, ein naives, verliebtes Mädchen.
»Mach’s mir«, drängte Brittina nun, »mach’s mir!«, und Corky gehorchte.
Der Wind schüttelte das schmale Haus, harter Regen peitschte die mageren Flanken, und auf dem schmalen Bett zappelte Brittina wie eine riesenhafte Heuschrecke.
Als die beiden sich anschließend verträumt aneinander kuschelten, musste Corky keine Fragen mehr zum Thema Manheim stellen. Er verfügte bereits über mehr Informationen, als er benötigte.
Wie sie es gelegentlich zu tun pflegte, verfiel Brittina in einen Monolog über die Sinnlosigkeit der Literatur. Sie sprach über die veraltete Funktion des geschriebenen Wortes, den zukünftigen Triumph des Bildes über die Sprache und über die als Meme bezeichneten Ideen, die sich angeblich wie Viren vom einen zum anderen ausbreiteten und in der Gesellschaft neue Denkgewohnheiten entstehen ließen.
Corky hatte das Gefühl, das Hirn könnte ihm platzen, wenn sie nicht sofort die Klappe hielt, und dann brauchte er tatsächlich neue Denkgewohnheiten.
Endlich rappelte sich Brittina von ihrem Liebesnest auf, um ins Bad zu staksen.
Corky griff unters Bett nach der Pistole, die er zuvor dort versteckt hatte.
Als er Brittina zweimal in den Rücken schoss, erwartete er fast, sie könnte wie eine uralte Mumie, die von jahrhundertelanger Dürre spröde geworden war, zu Knochensplittern und Staub zerstieben. Sie fiel jedoch lediglich zu einem leblosen, bleichen, kantigen Häuflein zusammen.
57
In den Jahren, in denen Ethan und Hazard offiziell ein Team bildeten, hatten sie sich so weit an die Vorschriften gehalten, wie das bei Vorschriften, die größtenteils von völlig praxisfernen Leuten aufgestellt worden waren, möglich war.
An diesem Dezembertag jedoch, inoffiziell als Partner wieder vereint, schlugen sie mächtig über die
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