Der wahre Feind: Kriminalroman (German Edition)
Bruder.
Storm erkundigte sich nach seiner Militärzeit.
Birthe erzählte, das Jonas in dieser Zeit wirklich aufgeblüht sei. Es habe ihm gutgetan, von zu Hause wegzukommen. Er habe an Reife gewonnen. Nachdem er seine Zeit als Rekrut hinter sich gebracht und seine eigentliche Ausbildung in Angriff genommen habe, sei er wirklich sehr glücklich gewesen. » Ich glaube, das war die glücklichste Zeit in seinem Leben, meinst du nicht, Karsten?«
Karsten brummte. Er hatte bisher nichts zu dem Bericht seiner Frau beigetragen, sondern die ganze Zeit mit verschränkten Armen in seinem Stuhl gesessen und geschwiegen.
Birthe blinzelte hinter ihrer neongrünen Brille. » Das war ja sein großer Traum. Für sein Land zu kämpfen.«
» Was wissen Sie von seinen Einsätzen?«
Sie knetete die Hände in ihrem Schoß. Die Standuhr am anderen Ende des Raumes schlug dreimal und brach die bedrückende Stille.
Birthe nickte. » Als er von seinem ersten Auslandseinsatz zurückkam, da haben wir ihm angemerkt, dass etwas geschehen sein musste. Er war sehr ernst geworden. Zuerst haben wir gedacht, dass er erwachsener geworden ist, aber dann hat er sich immer mehr abgekapselt. Hatte manchmal seine Wutanfälle.« Sie schüttelte traurig den Kopf. » Und ein halbes Jahr später hat er sich wieder einsatzbereit gemeldet und ist weggefahren. Er konnte zu Hause keine Ruhe finden. Er vermisste die Spannung und all die anderen Sachen.«
» Wie war er, als er das zweite Mal nach Hause kam?«
Birthe ließ den Kopf auf die Brust sinken. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie nahm rasch die Brille ab und wischte sie fort.
» Er kam als Krüppel wieder«, antwortete Karsten.
Storm und Katrine schauten ihn überrascht an.
» Das ist ein bisschen übertrieben«, widersprach Birthe mit erstickter Stimme.
Karsten warf die Arme in die Luft. » Körperlich war er unversehrt. Aber innerlich war er zerstört. Die Wahrheit ist, dass wir denen einen Sohn gegeben haben und wir eine lebende Leiche zurückbekamen.« Er nickte entschieden und blickte sie durchdringend an. Das schien ein Satz zu sein, den er schon viele Male zu Leuten gesagt hatte, die bereit waren, ihm zuzuhören.
» Wie, finden Sie, hat das Militär sich in dieser Sache verhalten, Herr Vestergaard?«, fragte Katrine.
Nach dieser Frage war Karsten Vestergaard nicht mehr zu bremsen. Wortreich erzählte er von den vielen Problemen seines Sohnes und der mangelnden Hilfe des Militärs. Sie hätten eine oberflächliche psychologische Untersuchung an ihm durchgeführt und ihn mit einem Glas voll Pillen nach Hause geschickt. Er und seine Frau seien mit all den Problemen, die sich sehr verschlimmert hätten, vollkommen alleingelassen worden.
» Wir haben schon das Schlimmste befürchtet«, sagte Birthe. Man hat ja so manches von den anderen Kriegsheimkehrern in der Zeitung gelesen. Von Selbstmord und Gewalt, manchmal sogar von Mord.«
» Wann ist Jonas bei Ihnen ausgezogen?«
Karsten zuckte die Schultern. » Das war ungefähr ein halbes Jahr vor seinem Tod. Es wurde ihm hier alles zu viel. Er hatte Schwierigkeiten, die kleinsten Regeln einzuhalten. War aufbrausend und aggressiv …«
» Du hast ihn rausgeworfen!«, platzte es aus Birthe heraus. Dann brach sie in Tränen aus und lief weinend aus dem Zimmer.
Katrine blickte kurz zu Sofie hinüber, die dumpf vor sich hin starrte. Das Mädchen mochte vielleicht zwölf, dreizehn Jahre alt sein, wirkte jedoch älter.
Karsten senkte den Kopf und verschränkte wieder die Arme, vor allem, um seine zitternden Hände unter Kontrolle zu halten.
» Wir verstehen gut, wie schwer diese Zeit für Sie gewesen sein muss«, sagte Storm.
Karsten nickte. » Ja, manchmal war es hart.«
» Ging es Ihrem Sohn besser, als er nach Kopenhagen kam?«
Karsten schüttelte den Kopf. » Wir haben den Kontakt zu ihm verloren. Wir, ich meine, Birthe, hat versucht, ihn anzurufen, aber er hat sich nie gemeldet.«
» Sie wissen auch nicht, wo er gewohnt hat?«
» Bei irgendwelchen Freunden, vermuten wir, aber nein, wir wissen es nicht.«
Storm und Katrine bemerkten, dass Sofie den Blick gesenkt hielt.
Katrine wandte sich an Karsten. » Haben Sie Fotos von Jonas?«
Karsten nickte. » Die sind oben.«
» Wir könnten gut eines gebrauchen, auf dem er keine Uniform trägt. Könnten Sie mir eins zeigen?«
» Natürlich.«
Nachdem Katrine und Karsten aus dem Zimmer gegangen waren, stand Storm auf. » Was spielst du am liebsten auf dem Klavier?«
Sofie schaute ihn
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