Der wahre Feind: Kriminalroman (German Edition)
unausweichlich gewesen. Das heißt doch nichts anderes, als dass es unsere eigene Schuld ist. Unsere eigene Schuld!« Er lehnte sich kopfschüttelnd zurück.
» Das ist doch trotz allem nur eine Minderheit.«
» Aber diese Leute haben Anhänger.« Kampmanns Augen blitzten.
» Schon, aber …«
» Und unter diesen Anhängern gibt es jene, die unter allen Umständen ihre fremde Staatsbürgerschaft behalten wollen …« Er lächelte kühl. » Diese Unruhestifter wird man ja wohl noch ausweisen dürfen.«
» Das hört sich fast so an, als wollten Sie diese Leute deportieren lassen.«
» Deportieren ist ein hässliches Wort.«
Storm rutschte auf seinem Stuhl hin und her. » Ehrlich gesagt, würde diese Vorgehensweise den Ermittlungen immens schaden. Derzeit haben wir zu diesem Milieu nämlich ausgezeichnete Kontakte. Die Imame haben uns ihre Unterstützung zugesagt. Selbst die Radikaleren von ihnen sind über den Vorfall entsetzt.«
» Die Imame«, wiederholte Flemming Kampmann, indem er das Wort in die Länge zog. Er fasste mit den Händen um die Tischplatte und stand auf. Für einen Augenblick schwankte er vor und zurück. » Ist Ihnen bekannt, Nikolaj, dass sich unter den dreiundzwanzig Todesopfern eine junge Frau namens Lene Paludan befindet?«
» Ja, ich habe die Obduktionsberichte gelesen«, antwortete Storm rasch. Er konnte sich vage an den Namen erinnern. Vor allem hatte er untersucht, ob auf der Liste der Todesopfer auch arabisch klingende Namen standen. Was die Theorie eines Selbstmordattentats gestützt hätte. Da dies aber nicht der Fall war, hatte er sich nicht eingehender mit der Liste beschäftigt.
» Dann wissen Sie auch, dass sie nur aufgrund ihrer Zähne identifiziert werden konnte, weil ihre Leiche völlig verkohlt war.«
Storm betrachtete seine Hände. » Viele Opfer waren aufgrund des Feuers nur schwer zu identifizieren.«
» Aber bei niemandem war es so schwierig wie beim kleinen Tobias.«
Storm runzelte die Stirn. » Ich verstehe nicht …«
» Das Baby von Lene Paludan. Sie hatte es auf dem Arm, als die Bombe detonierte.«
Storm nickte. Er hatte nicht gewusst, dass sich unter den Todesopfern ein Säugling befunden hatte.
» Die Druckwelle der Bombe war so gewaltig«, fuhr Kampmann fort, » dass Tobias an der Brust seiner Mutter förmlich zerquetscht wurde. All seine weichen Knochen wurden zermalmt und zu einem unförmigen Klumpen deformiert, der von den Flammen verzehrt wurde.«
Storm wollte nichts mehr hören, doch Kampmann hatte sich warmgeredet.
» Wären da nicht seine leeren Augenhöhlen gewesen, die durch all das verbrannte Fleisch starrten, hätte ihn niemand bemerkt.« Er lehnte sich über den Tisch, der unter seinem Gewicht ächzte. » Die Öffentlichkeit ist über solche Details schockiert. Solche grauenhaften Erkenntnisse führen zu Gefühlen der Ohnmacht und dem Wunsch nach Rache und Vergeltung. Sie erhöhen den Druck auf die Ermittler, vor allem auf den, der an ihrer Spitze steht.« Storm spürte Kampmanns bohrenden Blick. » Sie erhöhen aber auch den Druck auf die Politiker, die ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen müssen.«
» Wenn so etwas an die Öffentlichkeit dringt, erhöht das natürlich den Druck von allen Seiten«, entgegnete Storm.
Flemming Kampmann nickte. » Morgen früh wird das Ekstra Bladet das Bild von der Obduktion auf der Titelseite bringen. Der kleine Tobias wird, verschmolzen mit seiner Mutter, in die Welt hinausblicken, und die Welt …«, er machte eine Kunstpause, » wird zurückschauen.«
Storm spürte den Schweiß auf der Oberlippe. Er versuchte, seiner Stimme einen möglichst neutralen Klang zu verleihen. » Und wie können wir das verhindern?«
» Das tun wir nicht.«
» Nein?«
» Nein. Allein aus dem Grund, weil ich dafür gesorgt habe.«
Storm starrte ihn sprachlos an. Er war sich über die Konsequenzen dessen, was Kampmann ihm gerade offenbart hatte, noch nicht im Klaren. In der Bevölkerung würde es einen Aufschrei der Empörung geben. Auf der anderen Seite sah er durchaus das Strategische in Kampmanns Vorgehensweise. Kein Politiker würde es wagen, die Befugnisse ihrer Behörde infrage zu stellen.
» Finden Sie die Leute, die für diesen Anschlag verantwortlich sind, Nikolaj. Und beeilen Sie sich. Ich erwarte schon bald eine Liste der Verhafteten.«
Storm nickte und stand auf. Flemming Kampmann gab ihm in jeder Hinsicht freie Hand, doch konnte dies auch einen Keil in die Ermittlungen treiben und in gewisser
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