Der wahre Feind: Kriminalroman (German Edition)
verlassen und zu ihr zu ziehen. Und das war auch gut so.
Obwohl die Sache in praktischer Hinsicht ihre Vorteile hatte, musste sie ihr einen Riegel vorschieben, ehe sie irgendwann ein böses Ende nahm. Und sie mochte ihn zu sehr, um das zu riskieren.
Sie blickte auf den Couchtisch. Dort lag immer noch der Brief neben dem aufgerissenen Umschlag. Seit Monaten hatte sie auf ihn gewartet, und an diesem Morgen war er endlich durch ihren Briefschlitz gesteckt worden. Sie ließen nicht locker und wollten sie fertigmachen. Ein Exempel statuieren. In schwachen Augenblicken hatte Katrine gehofft, sie würden die Sache auf sich beruhen lassen. Sie einfach vergessen. Oder ihr zumindest mildernde Umstände zuerkennen. Wie naiv sie gewesen war. Sie wusste genau, dass es so nicht laufen würde. Früher oder später holte einen die Vergangenheit ein. Zuerst hatte sie den Stempel des Amtsgerichts bemerkt. Hatte ein ums andere Mal den Text der Vorladung gelesen. Endlich war die Verhandlung anberaumt worden. Trotz der Vorwürfe und der nachfolgenden Anklageerhebung hatte sie weiter auf dem Revier arbeiten dürfen. Sie hatte jedoch keinerlei » Publikumskontakt« mehr gehabt und simple Büroarbeit erledigen müssen. Den Titel der Kriminalrätin trug sie immer noch, doch im Fall einer Verurteilung lief sie Gefahr, alles zu verlieren. Dann würde sie gemeinsam mit denen eingesperrt werden, die sie selbst hinter Schloss und Riegel gebracht hatte. Mit Mördern und Vergewaltigern, die sie von der Straße entfernt hatte. Danach würde sie nicht mal mehr einen Job an der Rezeption bekommen. Dennoch bereute sie nicht, was sie getan hatte.
*
Zwei Wohnblocks von Katrine entfernt saßen Hamza und Jamaal vor Faris’ Computer. Die Vorhänge waren geschlossen. In dem kleinen Zimmer mit den Gebetsteppichen an der Wand roch es säuerlich nach Marihuana. Faris war bei einem Treffen in der Azra-Moschee, wo er Koranunterricht gab. Doch sie wussten, dass er bald zurück sein würde. Jamaal und Hamza wohnten beide bei ihren Eltern und benutzten daher Faris’ Wohnung, wenn sie sich treffen wollten.
Seit sie Badr Udeen in der Umkleide der Korsgade-Halle begegnet waren, hatten sie eine aufregende Zeit erlebt. Eine Zeit voller Anspannung. Faris konnte nicht verbergen, wie groß seine Angst war. Meist war er gereizt und schluckte ständig seine Pillen. Wenn’s drauf ankam, war er zu nichts zu gebrauchen, fanden Hamza und Jamaal. Normalerweise nutzte er jede Gelegenheit, um den Heiligen Krieg zu predigen und die Märtyrer zu preisen. Doch wenn es darum ging, Dünger für die Bombe oder etwas anderes zu besorgen, dann hatte er stets tausend Ausreden parat. Sie mussten also zusehen, dass sie allein klarkamen. Für sie war dies die wichtigste Zeit ihres Lebens. Die einzige, die ihnen je sinnvoll vorgekommen war.
Darum hatten sie Faris auch nicht die Mail von Badr Udeen gezeigt. Sie war auf ihrem eigenen Hotmail-Account eingegangen, den sie während des Besuchs des Mullahs erhalten hatten. Zunächst hatten sie überlegt, die Nachricht wieder zu löschen, aber da Faris keine Ahnung von Computern hatte, ließen sie die Nachricht einfach im » Entwürfe«-Ordner liegen. Auf diese Weise kommunizierten sie mit Badr Udeen und seinen Leuten. Damit die Ungläubigen keine der Nachrichten abfangen konnten, schrieben sie ausschließlich auf diesem E-Mail-Account und legten die Nachrichten anschließend unter » Entwürfe« ab. Da die Mails nicht über das Internet versendet wurden, konnten sie kommunizieren, ohne elektronische Spuren in Internet zu hinterlassen. Das war eine absolut sichere Methode, solange Account und Passwort geheim waren und der Computer nicht gehackt wurde. Besser als alle Verschlüsselungsprogramme dieser Welt. So würden sie den Krieg gewinnen, hatte Badr Udeen gesagt. Mit List und Entschlossenheit.
Sie lasen die Nachricht des Mullahs voller Ehrfurcht, obwohl sie sehr kurz war. Sie kam ihnen genauso unwirklich vor wie das persönliche Treffen mit ihm. Er war ihr Vorbild gewesen, solange sie denken konnten. Er war einer ihrer Helden und stand mit Mullah Omar, Osama Bin Laden und den anderen Märtyrern in einer Reihe. Seid gegrüßt. Allah belohnt diejenigen, die das Blut der Ungläubigen vergießen. Eure Tat ist gesehen und gepriesen worden. Vom Allmächtigen und von euren Brüdern.
Sie mussten ihm antworten, damit er erfuhr, dass sie am Leben waren und seine E-Mail den richtigen Adressaten erreicht hatte. Fragte sich allerdings, was sie
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