Der wahre Feind: Kriminalroman (German Edition)
Ermittler klärt man nie alle Details eines Verbrechens auf. Ein paar offene Fragen bleiben doch oft bestehen. Zeugen, die sich nicht mehr genau erinnern können und so weiter. Schlampige Laborbefunde, unzuverlässige Kollegen …«
» Das weiß ich, aber in diesem Fall ist das etwas anderes.«
» Weil Sie dazu genötigt werden, die Ermittlungen einzustellen?«
Er biss sich auf die Lippe. » Es ist nicht nur das …«
» Sie wollen einfach die Wahrheit herausfinden?«
Er zuckte die Schultern. » So was in der Art, ja.«
» Dann sollten Sie sich eine einzige Frage stellen.«
» Welche?«
Katrine strecke die Hand nach dem Wasserglas aus. Sie verzog das Gesicht vor Anstrengung. Storm nahm das Glas und gab es ihr. » Danke«, sagte sie und trank in kleinen Schlucken. Dann stellte er das Glas auf den Nachttisch zurück. Sie schloss die Augen.
» Was für eine Frage sollte ich mir stellen?«
» Ob Sie bereit sind, den Preis zu bezahlen. Ob Sie bereit sind, den Weg bis zum Ende zu gehen.«
» Ich habe nicht vor, Gesetze zu brechen und Geständnisse aus Leuten herauszuprügeln, wenn Sie das meinen.«
Sie lächelte.
» Im Gegensatz zu dem, was viele Leute glauben, habe ich die meisten Fälle auf sehr friedliche Art gelöst.«
» Entschuldigung, so habe ich das nicht gemeint.«
» Gibt es mehrere Festnahmen, muss man als Ermittler auf das richtige Pferd setzen. Wenn einem das gelingt, dann stürzt das Kartenhaus binnen kurzer Zeit in sich zusammen.«
Storm beugte sich vor. » Ihr Motiv war Terror. Sie wollten zu Märtyrern werden. Meinen Sie etwa, ich sollte den größten Märtyrer unter ihnen suchen?«
» Nicht unbedingt. Das Märtyrertum mag ihr Motiv für die Tat gewesen sein. Aber die Situation hat sich geändert. Jetzt müssen sie mit ihrem Verbrechen leben. Müssen es vor sich selbst rechtfertigen. Müssen ihrem eigenen Moralkodex gerecht werden, so verworren der auch sein mag.«
» Und wenn ich mich entscheiden müsste, auf welchen der drei Verdächtigen ich mich konzentriere …«
» Keine Ahnung. Ich habe die Vernehmungen ja nicht geführt.«
Sie schloss die Augen und döste vor sich hin. Storm blickte aus dem Fenster; die Autoscheinwerfer auf der Umgehungsstraße sahen aus wie eine glühende Schlange. Er wandte sich wieder an Katrine. » Bereuen Sie manchmal, dass Sie den pädophilen Täter damals attackiert haben?«
» Die Antwort wird Ihnen nicht gefallen, Nikolaj«, sagte sie mit geschlossenen Augen.
» Versuchen Sie es.«
» Man kann vor seiner Vergangenheit nicht davonlaufen.« Sie zeigte auf ihr geschundenes Gesicht. » Obwohl ich immer noch hier wohne, habe ich mich weit von dem Viertel entfernt, in dem ich aufgewachsen bin. Doch ein Rest ist geblieben. Ich kann nachvollziehen, warum die Arschlöcher sich an mir rächen wollten, und sie wissen genau, dass es Konsequenzen haben wird, wenn ich sie eines Tages in die Finger kriege. So läuft das eben.«
Storm wunderte sich über ihren Zynismus und war zugleich beeindruckt davon, wie gefasst sie sich gab.
» Wie ich vorhin gesagt habe, wir alle folgen unserem eigenen Moralkodex, wie verworren der auch sein mag.«
*
Mitternacht war längst vorüber. Der glatzköpfige Krankenpfleger stand in dem kleinen Raum, in dem sich die Pizzakartons stapelten, und telefonierte. Durch den Türspalt konnte er Katrines Zimmer sehen, das schräg gegenüber auf der anderen Seite des Gangs lag. Storm saß immer noch an ihrem Bett.
» Er ist schon seit ein paar Stunden da«, sagte er.
» Und worüber haben sie gesprochen?«, fragte die metallische Stimme am anderen Ende der Leitung.
» Vor allem über den Angriff auf sie, aber auch über das Bombenattentat.«
» Wie ist der Ton zwischen ihnen? Macht sie ihm Vorwürfe?«
» Im Gegenteil. Ich würde sagen, der Ton ist vertraut, freundschaftlich.«
» Ist sie außer Lebensgefahr? Wird sie überleben?«
Die Betonung des Wortes ließ den Krankenpfleger blinzeln. » Sie wird keine bleibenden Schäden davontragen. Aber ob sie die Zeit im Krankenhaus überlebt, liegt an uns.«
Seine Hand glitt in die Tasche seines Kittels und umfasste das Fläschchen mit der klaren Kaliumlösung.
» Danke, Morten. Dein Einsatz wird sehr geschätzt. Fürs Erste warten wir ab.«
Er ließ das Fläschchen in seiner Tasche wieder los. » Ich bin bereit«, entgegnete er mit glühendem Blick.
» Das weiß ich. Fürs Protokoll.«
» Fürs Protokoll.«
33
Um drei Uhr früh erschallte der erste Ruf. Im nächsten Augenblick wurde
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