Der wahre Hannibal Lecter
fragt er ungläubig den Kollegen.
»Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung«, bekommt er zu hören, »dass du zum Zeitpunkt der Tat voll zurechnungsfähig warst. Außerdem ist sie der Ansicht, dass du nach dem Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen bist und nicht nach dem für Jugendliche.«
»Und was heißt das?«, will Maudsley wissen.
»Dass du für immer im Knast gelandet bist. Stell dich darauf ein, die Freiheit wirst du so schnell, wenn überhaupt, nicht wieder sehen. Die wollen dich in die Pfanne hauen, für den Rest deiner Tage, hast du verstanden?«
Robert Maudsley nimmt diese vernichtenden Sätze wortlos zur Kenntnis. Er wendet sich ab und wartet in einer stillen Ecke auf das Ende des Hofgangs. Immer wieder zuckt es durch sein Gehirn: Lebenslänglich! Er denkt an die Worte des Psychologen: »Wir werden uns bald wieder sehen, und dann bleiben Sie sehr lange bei uns. Sie sind krank, sehr krank.
Deshalb werden wir versuchen, Ihre Seele und Ihren Geist wieder ins Gleichgewicht zu bringen.«
Als die Glocke schrillt, beeilt sich Maudsley, um als Erster in den Zellengang gelassen zu werden. Wortlos lässt er sich in seine Zelle bringen. Er setzt sich an den kleinen Tisch und hält die dicke Anklageschrift in Händen. Er liest nur immer wieder die erste Seite mit seinem Namen und denkt an die Worte seines Mitinhaftierten.
»Lebenslänglich«, ständig wiederholt er dieses Wort und ist froh, als der Abend hereinbricht Schon sehr früh – das Licht wurde noch nicht ausgeschaltet – geht er an diesem Tag zu Bett. Doch er kann nicht einschlafen. Ruhelos wälzt er sich von einer Seite auf die andere. Will seine schwarzen Gedanken verdrängen, doch es gelingt ihm nicht. Über Stunden bleibt er wach und blickt auf das vergitterte Fenster. Wochen darauf erhält er von dem zuständigen Gericht den Termin zur Hauptverhandlung. Er hat Angst. Das Warten auf den Tag der Entscheidung will kein Ende nehmen.
Der Tag der Entscheidung
»So, Maudsley, nun bekommst du deine Quittung«, ruft am Tag X ein Beamter in seine Zelle.
»Und dass du dich ja ordentlich rasierst«, verhöhnt er ihn.
»Sonst bekommst du erst recht einen Daueraufenthalt im Knast. Die Richter mögen keine Penner wie dich.«
Robert bekommt sein tägliches Frühstück, doch er kann keinen einzigen Bissen hinunterschlucken. Er wartet nur darauf, dass sich die Zellentür öffnet und er zum Gerichtsgebäude gebracht wird. Als er einen nochmaligen Blick auf seine Unterlagen wirft, verliert er die Nerven. »Nicht lebenslänglich«, schreit er, doch niemand will ihn hören. Lange genug hatte er versucht, ruhig zu bleiben. Sogar die Fragen des Gerichts hat er zu erraten versucht und darauf passende Antworten vorbereitet. Doch jetzt ist sein Kopf leer. Dann öffnet ein Beamter seine Zelle. Maudsley geht langsam auf ihn zu und lässt sich wort- und widerstandslos die Handschellen anlegen. Als man ihn aus der Zelle führt, sieht er, dass noch drei weitere Beamte auf ihn warten, um ihn zu begleiten.
Man führt Maudsley in den Gefängnishof, wo bereits ein vergitterter Transportwagen für die kleine Gruppe bereitsteht.
Kurz darauf schließt sich das schwere Gefängnistor hinter ihnen, und der Fahrer nimmt Kurs auf die Innenstadt.
Maudsley hat Magenbeschwerden vor Aufregung. Doch das rege Treiben in der City beobachtet er sehr genau.
»Wie lange ist es her, dass ich frei war. Würde ich mich nur in diesen Menschentrauben befinden«, denkt er sich. Doch ein Blick auf die ihm gegenübersitzenden Beamten, auf seine Handschellen und auf die vergitterten Fenster des Autos lassen ihn alle aufkommenden Fluchtgedanken schnell vergessen.
»Vielleicht werde ich dieses Bild nie wieder sehen. Vielleicht lebenslänglich auf keiner Straße mehr gehen.« Robert wird von nacktem Entsetzen gepackt. Plötzlich tritt der Fahrer des Gefangenentransports abrupt auf die Bremse. Die Beamten sehen aus den vergitterten Fenstern, können aber nichts erkennen. Gebieterisch herrscht einer von ihnen den Fahrer an.
Sie können nicht verstehen, warum der Fahrer mitten auf der Strecke anhält, und befragen ihn: »He, was ist denn los? Wieso hältst du mitten auf freier Strecke?«
»Schau mal nach vorne«, antwortet der. »Siehst du nicht die Menschenansammlung vor dem Gericht?«
Die Polizisten schauen zur Frontscheibe hinaus und erkennen die unzähligen Menschen, die sich auf dem Platz vor ihnen versammelt haben.
»Wahrscheinlich alles Presse- und Fernsehleute«, vermutet einer der
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