Der wahre Hannibal Lecter
Beamten.
»Fahren wir lieber zum Hintereingang, das ist sicherer«, beschließt der Fahrer. Er biegt in die nächste Seitenstraße ein, die zu einem Nebeneingang des riesigen Gebäudes führt. Die Beamten atmen tief durch, als sie bemerken, dass dieser Eingang von keinem Journalisten belagert wird.
Über einen Sicherheitsgang wird Maudsley zum Gerichtssaal gebracht. Je näher er ihm kommt, desto nervöser wird er. Das verstehen sogar die Beamten. Alle wissen, welches Urteil über dem Angeklagten schwebt.
Kaum haben sie den Geheimgang verlassen, treffen Maudsley und seine Eskorte in dem frei zugänglichen Teil des Gebäudes auch schon auf die Reporterschar, die sich längst vor dem Eingang zum Gerichtssaal breit gemacht hat. Die Beamten bilden einen Kreis um Maudsley. Ein unglaubliches Blitzlicht-gewitter bricht über die Gruppe herein. Dutzende von Mikrofonen werden Robert Maudsley ins Gesicht gehalten, hundert Fragen prasseln gleichzeitig auf ihn ein. Jeder Reporter will wenigstens ein paar Worte des Mannes auf Band haben, der in der Presse wochenlang als blutrünstige Bestie bezeichnet wurde.
Die Polizisten sind überfordert und blicken Hilfe suchend nach allen Seiten. Da ertönt plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund: »Zurücktreten, meine Herren. Nun machen Sie schon Platz, oder wir lassen den Gang räumen.«
Die Gerichtswache bahnt sich einen Weg durch die Journalistenmeute. Sicher haben diese Staatsdiener keine Erfahrung mit Sensationsprozessen, sonst hätten sie den Gang rigoros mit Absperrungen versehen.
Aber wer will es den Reportern auch verdenken, dass sie ihre Beute nicht mehr loslassen wollen. Jeder möchte seinen Artikel mit Fotos oder Zitaten des Ungeheuers schmücken. Doch als die Beamten ihre Drohung wiederholen, löst sich der Kreis auf, und die kleine Gruppe um Maudsley kann ungehindert weitergehen. Die Presseleute wissen, dass die Wachleute den Gang komplett sperren würden, kämen sie der Aufforderung zurückzutreten jetzt nicht nach. Und dann würde keiner mehr ein Bild von Maudsley nach dessen Verurteilung bekommen.
Wenige Meter vor der Tür zum Gerichtssaal stößt die Gruppe um Maudsley plötzlich auf einen Gerichtsdiener. »Auf Anordnung des Gerichts muss der Gefangene zunächst in die Sicherheitszelle da vorne im Flur gebracht werden«, verkündet dieser. »Der Termin für den Beginn der Hauptverhandlung wurde verschoben. Der Vorsitzende Richter ist außer sich«, berichtet er weiter. »Stellen Sie sich vor, fast wäre der ehrwürdige Lord nicht zu seinem Büro gekommen. Überall Reporter, beklagte er sich mehrmals lauthals. Keinerlei Sicherheitsvorkehrungen seien getroffen worden. Obwohl jeder im Haus hätte wissen müssen, welchen Rummel dieser Fall auslösen würde.«
Der Gerichtsdiener schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. »Ein solches Chaos und eine solche Schlamperei hat es noch nie gegeben, seit ich hier beschäftigt bin. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn der Vorsitzende Richter sehr verärgert darüber ist«, fährt er mit unvermitteltem Eifer fort. Vor einer riesigen Holztür bleibt er schließlich stehen: »So, da wären wir.« Er öffnet die Tür und betritt den Raum dahinter. Dort befinden sich lediglich drei Zellen. Vom Fußboden bis zur Decke grenzen dicke Eisenstäbe die Verliese voneinander ab.
»Am besten steckt ihr ihn in die linke Zelle«, ordnet er an.
Dabei holt er seinen Schlüsselbund hervor und öffnet die schwere Eisengittertür. Geräuschvoll fällt sie ins Schloss, und Robert Maudsley ist wieder allein. Kein Stuhl, kein Tisch befindet sich in der Zelle. Nur eine Deckenleuchte spendet ein wenig schummriges Licht. Als die Beamten den Raum verlassen, wirkt er völlig hilflos.
Er betrachtet die unzähligen Sprüche an der Wand neben sich. Ein Kommentar lässt ihn zusammenzucken: »Alles ist vergänglich, auch lebenslänglich.«
Noch immer hält Maudsley seine mitgebrachten Unterlagen unter dem Arm. Seine klobigen Hände umklammern die Gitterstäbe. Er schaut auf die Tür, durch die man ihn in Kürze führen wird. Er hofft, dass dieser Spuk bald ein Ende hat und er vor seine Richter geführt wird. Doch die Stunden vergehen, und es passiert nichts.
Endlich wird die Tür doch geöffnet. Vier Beamte treten ein und legen ihm durch das Gitter Handschellen an. Verwundert stellt Maudsley fest, dass man ihm nun auch Fußfesseln anlegt.
»Was soll das denn«, beklagt er sich lautstark. »Ihr wisst doch ganz genau, dass ich euch nicht weglaufe.
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