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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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dessen Wohnung zu betreten. Etwas in ihm schrak zurück – aber Angst vor einer gebrechlichen alten Frau?
    «Düster hier bei Ihnen», sagte er.
    Sie öffnete die zweite Tür links, und Licht fiel in den Flur.
    «Ja. Ich habe eigentlich nur die halbe Wohnung, irgendwann wurde sie geteilt. Alle Zimmer auf der rechten Seite gehören anderen Mietern. Früher lebte in jedem Zimmer eine ganze Familie, stellen Sie sich das vor.»
    Das Küchenfenster ging zum Hof. Konrad nahm auf einem der beiden Stühle Platz.
    «Sie wundern sich bestimmt, dass ich Sie einfach so einlade. Aber ich verlasse mich auf meine Menschenkenntnis. Es ist Ihr Blick. Sie erinnern mich an jemanden von früher. Außerdem freue ich mich, wenn ich mit einem Menschen sprechen kann, erst recht mit einem Deutschen. Und natürlich bin ich neugierig, was Sie hier suchen. Wie sind Sie überhaupt auf mich gekommen?»
    «Ihr Mann ist der Halter des gestohlenen Fahrzeugs.»
    «Wenn Sie mir nicht bald einen anderen Grund verraten, werde ich böse», lachte sie. «Das ist nicht sehr galant.»
    «Natürlich finde ich Sie auch ausgesprochen sympathisch.»
    «Komplimente machen müssen Sie noch lernen.»
    «Mach ich. Leben Sie hier ganz allein?»
    «Ja. Ich habe nicht mehr viel Kontakt. Fast alle unsere Bekannten und Freunde sind gestorben. Jetzt auch noch mein Mann. Ein paar Freundinnen sind geblieben. Aber die meisten ziemlich dumme Puten, entweder waren sie das schon immer, oder sie sind in den letzten Jahren verblödet. Furchtbar, was das Alter aus dem Menschen macht. Geschwister habe ich nicht, und Arkadij …»
    «Wer?» Konrad horchte auf.
    «Mein Sohn. Sagte ich nicht, dass ich ihm etwas in die Klinik gebracht habe?»
    «Nein. Das sagten Sie nicht. Sie haben einen Sohn? Seit wann ist er dort?»
    «Schon seit langer Zeit, er ist krank. Psychische Probleme.»
    «Wie oft gehen Sie zu ihm?»
    «Einmal die Woche gebe ich die Sachen der Pflegerin.»
    «Das heißt, Sie sehen ihn gar nicht selbst?»
    «Nein. Schon lange nicht mehr. Meine Besuche haben ihn immer völlig durcheinandergebracht. Er reagiert sehr merkwürdig. Auf mich.»
    Sie stockte, ihr Kinn zitterte leicht.
    «Wie alt ist er denn?»
    «Dreiundsechzig.»
    Das war ulkig. Ein dreiundsechzigjähriger Sohn? In dem Alter ist man ja eigentlich gar kein Sohn mehr. Konrad rechnete nach. Dann müsste Svetlana mindestens achtzig sein. So alt wirkte sie längst nicht.
    «Wie kam er denn dort hin? Was ist passiert?»
    Sie zuckte die Schultern, schüttelte gleichzeitig den Kopf, mit zusammengepressten Lippen. Die linke Oberlippe zuckte eine Winzigkeit hoch, unwillkürlich. Sie machte sich selbständig, ein Zeichen der Verachtung. Als erschreckte sie dieser Sohn noch immer, und sie müsste ihn abschütteln. Als wäre Konrad ihr mit dieser Frage zu nahe auf den Leib gerückt. Ihr Gesicht verhärtete sich.
    «Das ist eine lange Geschichte, die nun sicher nichts mit Ihrem Auto zu tun hat.»
    Eine Kuckucksuhr rief mehrmals aus dem Zimmer nebenan.
    Es gefiel ihm nicht, wie sie das aussprach, «Ihrem Auto». Sie sagte es so, als zöge ein Dreijähriger ein Plastikauto hinter sich her. Vergiss dein Auto nicht. Es war verdammt noch mal sein Job, den Wagen zu finden. Es war eine schwierige Aufgabe, und er wünschte nicht, dass irgendjemand sich darüber lustig machte.
    Sie lächelte, das nahm dem Satz seine Schärfe, und dieses Lächeln war jünger als ihr ganzer Körper.
    «Vielleicht gerade», sagte er.
    «Nein. Irgendwann werde ich Ihnen alles sagen. Jetzt mache ich uns erst mal einen Kaffee, und Sie erzählen von sich.»
    Konrad schwieg, bis sie das brodelnde Wasser in den Filter gegossen und sich wieder zu ihm gedreht hatte.
    «Da gibt es nicht viel zu erzählen.»
    «Nicht? Warum kommen Sie zum Beispiel in unser Land und tun solche Dinge? Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber merkwürdig ist Ihre Arbeit schon. Sie sind doch kein Polizist?»
    «Nein, nein.»
    «Eben. So ein schüchterner Polizist, das hätte mich gewundert.»
    «Es ist Zufall.»
    «Zufall?»
    «Ich habe Sprachen studiert. Und Geschichte.»
    «Aha. Und damit wird man Detektiv für Autodiebstähle?»
    «Nein, das ist nur eine Art Job.»
    «Ein Job?»
    «Ja, um Geld zu verdienen.»
    Konrad spürte, wie er sich mit jedem Satz weiter von sich selbst entfernte.
    «Und was machen Sie in Wirklichkeit?»
    Eine kluge Frage. Konrad merkte, wie sie ihn mit den Füßen auf die Erde stellte. Ihn ernst nahm. Wie lange hatte er auf jemanden gewartet, der ihn mit

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