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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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den Namen des Vaters, auf den Namen von Jurij Solowjow angemeldet hat.»
    «Und wie heißt er?»
    «Ihor Hryciuk, laut seinem Ausweis. Er hat auf dem Bezirksamt Petschersk eine Vollmacht von Solowjow vorgelegt. Wir prüfen gerade die Unterschrift.»
    «Ihor Hryciuk, sagen Sie?»
    «Ja, aber bitte erzählen Sie Ihrer Witwe nichts davon. Sie gefährden meine Ermittlungen.»
     
    In einer Sitzung Ende der achtziger Jahre erinnerte sich Arkadij:
    «Manchmal war mehr Lärm, dann wurde ich richtig wach. Im Hausflur wurde es laut. Ich hörte Schreie, Schritte polterten auf der Treppe, Klopfen bei den Nachbarn. Dann ein Geräusch, als würde mit Stiefeln gegen die Tür getreten. Männerstimmen. Schimpfen. Eine eingeschüchterte Frauenstimme. Ich hatte große Angst. Ich ging in den Flur, Vater saß auf dem Stuhl neben dem Telefontischchen. Er war angezogen, trug sogar seinen schwarzen Mantel, als wollte er verreisen. Seine rechte Hand ruhte auf dem Tischchen neben dem Telefonbuch, neben Notizblock, Bleistift und Handschuhen. Erst jetzt sah ich die Pistole in seiner anderen Hand auf dem linken Knie ruhend. Sie hatte so einen dünnen Lauf, wie ein Bleistift. Er sagte nichts. Er hob nur langsam den Finger an die Lippen, als er mich im Schlafanzug sah.»
    «Als Vater später ganz weg war, im Krieg, Monate oder Jahre …»
    «Wie alt waren Sie da?»
    «Na, der Krieg hat 1941 begonnen. Ich weiß nicht.»
    «Dann waren Sie elf.»
    «Damals war es richtig unheimlich. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, ob Olha noch da war. Doch, sie muss da gewesen sein. Und meine Tante.»
    «Sie meinen Svetlana.»
    «Ja. Zwei Frauen und ich. Svetlana kam auf mein Rufen nur selten herein. Sie war so ungeduldig geworden. Eher ging sie an den Spion der Wohnungstür und wollte wissen, was da draußen passierte. Und wenn sie einmal kam, spürte ich ihre Ungeduld. Sie wollte nur, dass ich schnell wieder ruhig war. Was tat sie da im anderen Zimmer, während mein Vater im Krieg ist und ich in meinem Bettchen liege? Warum kommt sie so selten und lässt mich schreien? Und sie riecht anders. Ein prickelnder, frischer Duft, den ich nie an ihr bemerkt habe.»
    «Wonach hat sie gerochen?»
    «Nach Kölnischwasser.»
    «Woher wissen Sie, wie Kölnischwasser riecht?»
    «Svetlana hatte eine Flasche davon im Bad stehen.»
    «Aha.»
    «Einmal war auch ein Mann in Uniform in der Wohnung. Er sah sich um und ging bald wieder.»
    «Eine sowjetische Uniform?»
    «Ich weiß nicht. Da waren so Blätter dran.»
    «Eichenblätter?»
    Diesmal fuhr er zu Svetlana, ohne mit Arkadij gesprochen zu haben.
    «Das soll er erzählt haben?», fragte sie, und aus ihrer Frage klang ebenso viel Angst wie der Wunsch, etwas Neues über ihren Sohn zu erfahren. Konrad tischte ihr alles unterschiedslos auf. Svetlana war nicht ganz aufrichtig zu ihm, da durfte er auch ein bisschen mit ihr spielen.
    «Ja. Arkadij hat gesagt, Ihr Mann habe im Flur gesessen, mit der geladenen Pistole auf den Knien.»
    «Mein Gott! Das ist ja ewig her, das muss in den dreißiger Jahren gewesen sein. Jurij hat immer gesagt: Bevor ich mich abführen lasse, erschieße ich mich. Ich glaube nicht, dass er es wirklich getan hätte. Er sagte das, um sich selbst zu beruhigen. Aber er saß mit der Pistole am Telefontisch, sobald er Geräusche im Treppenhaus hörte.»
    «Hatten Sie denn damals schon Telefon?»
    «Ja. Das war eine große Ausnahme. Kurz vor dem Krieg wurde der Apparat auch wieder beschlagnahmt. Sie haben einfach das Kabel durchgeschnitten und ihn mitgenommen. Jurijs Proteste halfen nichts. Aber er blieb panisch, immer, wenn er was hörte. Ich habe zu ihm gesagt: Und wenn es nun die Nachbarin ist, wenn sie Mehl oder Zucker borgen will? Um zwei Uhr nachts?, hat er erwidert. Er wollte nur noch einen letzten Blick durch den Spion werfen, um sicherzugehen. Wenn es Männer in dunklen Mänteln oder Lederjacken waren, wollte er sich erschießen. Sie können sich vorstellen, was für eine Angst ich hatte. Arkadij habe ich immer ins Bett geschickt, der hörte natürlich auch was und war neugierig.»
    Ein Schweigen trat ein. Konrad rührte in seinem Tee.
    «Svetlana, ich will Ihnen nicht auf die Nerven fallen, ich weiß, Sie glauben gar nicht an das Auto.»
    «Ich glaube auch nicht an den lieben Gott.»
    «Aber darf ich Ihnen trotzdem eine Frage stellen?»
    «Bitte.» In fast resignierendem Ton.
    «Ich nehme Ihnen ja inzwischen ab, dass Sie nichts von dem Mercedes wussten, welche Frau weiß schon alles von ihrem

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