Der wahre Sohn
hier jeder. Eine Seele von Mensch. Eigentlich gehört er gar nicht in diese Anstalt.»
«Er ist nicht verrückt?»
«Nur ein bisschen melancholisch, manchmal. Und erzählt so phantastische Geschichten.»
Am nächsten Morgen ging er zu Mazepa.
«Haben Sie etwas über diesen Hryciuk herausbekommen?»
«Vergessen Sie den Mann. Das ist eine kleine Nummer, hat sich als Helfer missbrauchen lassen. Er hat uns einen Tipp gegeben, deshalb lassen wir ihn laufen.»
«Was hat er gesagt?»
«Den Namen seines Auftraggebers.»
«Nämlich?»
«Wasyl Holota.»
«Und wer ist das?»
Mazepa schien ein bisschen enttäuscht. «Der Mann ist in Kiew ein Begriff. Vorbestraft wegen Betrugs, Raub, Vergewaltigung. Er hat in den neunziger Jahren gesessen, einige Monate. Ich habe mir mal das Vorstrafenregister kommen lassen.»
Er knallte einen Schwung Papiere auf den Tisch.
«Wie kommt dieser Wasyl an die Vollmacht des alten Solowjow?», fragte Konrad.
«Das ist genau die Frage. Ob die Unterschrift echt ist oder nicht. Entweder hat er ihn gekannt, oder er ist einfach auf die Krebsstation des Krankenhauses marschiert und hat einen Todgeweihten, der unter dem Einfluss von Medikamenten nicht mehr klar war, etwas unterschreiben lassen. Wehren konnte er sich ja nicht. Alles möglich.»
«Aber warum ausgerechnet Solowjow?»
Mazepa zuckte mit den Schultern.
«In welchem Krankenhaus lag er am Ende?»
«Im Militärhaupthospital.»
«Wo ist das?»
«Lesja-Ukrainka-Straße. Und hier, noch interessanter, aus dem internen Dossier unserer Polizei.» Für diese alten Kontakte, noch aus der Zeit des sowjetischen Sicherheits- und Polizeiapparats, schätzte die Versicherung Mazepa. «Man hat ihn wiederholt verhaftet und vernommen. Geboren ist er kurz nach dem Krieg in einem Dorf südlich von Kiew, Suschtschani, den Dnjepr abwärts, Richtung Tscherkassy. Den Namen haben Sie schon mal gehört, wenn Sie ein bisschen von Militärgeschichte verstehen. Der Vater war weg, wie bei so vielen Familien damals nach dem Krieg. Er ist gefallen, oder er hielt sich noch als Partisan im Wald versteckt oder war als Kriegsgefangener in deutschen Lagern umgekommen. Jedenfalls kehrte er nie zurück. Die Mutter hat den Sohn allein großgezogen und rasch die Kontrolle verloren. Über sie ist so gut wie nichts bekannt, wahrscheinlich ein typisches Nachkriegsschicksal. Wasyl hat sich irgendwelchen Verrückten von der Ukrainischen Aufstandsarmee angeschlossen, die sich in den galizischen Wäldern herumtrieben. Wollte vielleicht dem Vater nacheifern. Das war Ende der Fünfziger. Er wurde festgenommen und ist nur deshalb knapp der Todesstrafe entkommen, weil er so jung war. Später kam er zu einer nationalistischen Bande, die Kaukasier, Zentralasiaten verprügelt hat.»
«Nationalistische Bande, in der Sowjetunion?», fragte Konrad erstaunt.
«Aber klar. In den Achtzigern wurde es dann plötzlich ruhig um ihn, jedenfalls aus polizeilicher Sicht. Aktenkundig ist er nicht mehr geworden. Erst Anfang der neunziger Jahre, nach der sogenannten Wende, tauchte er wie aus dem Nichts in der Stadt auf und schaltete sich in den Kampf um das Bestattungsgewerbe in Kiew ein. Er hatte seine eigene Bande, beteiligte sich an Schießereien, am Ende ohne rechten Erfolg. Er legte große Brutalität an den Tag, galt aber sogar in der Szene als nicht besonders helle. War dafür sadistisch. Typisch für jemanden, der keinen Vater hatte und denkt, er müsse die Ehre seiner Mutter verteidigen. Solche Typen sind gefährlich. Du musst sie nur einmal falsch angucken.»
Konrad nickte.
Mazepa blätterte weiter. «Hier. Einmal hat er sogar wegen Mordes gesessen. Er hat einen Offizier erschossen.»
«Raub?»
«Heimtücke.»
«Und warum?»
«Die Einzelheiten kenne ich nicht. Hier steht, dass Holota zwei Jahre abgesessen hat. Daran sehen Sie schon, was für ein Kaliber der ist. Wer bei Mord nach zwei Jahren freikommt, muss gute Beziehungen haben. Autodiebstahl passt nicht zu ihm.»
«Haben Sie nähere Informationen über diesen Mordfall?»
«Kann ich besorgen, aber es wird uns nicht weiterbringen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Oder anders gesagt: Bei ihm hat alles immer nur mit Geld zu tun. Holota ist bis heute Besitzer eines Beerdigungsinstituts. Daneben verdient er mit Spielhöllen und Hotelprostitution und hat sich gewissermaßen etabliert.»
«Mit einem Beerdigungsinstitut kann man Geld verdienen?»
«Was glauben Sie? Am Ende oder wenn es um den Tod der Nächsten geht,
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