Der wahre Sohn
Wenn dieser Mann so bekannt war, musste in jedem einschlägigen Etablissement jemand zu finden sein, der mehr über ihn sagen konnte. Noch am selben Abend beschloss Konrad, das zu überprüfen. Er brauchte sich von Mazepa nicht sagen zu lassen, wovon er die Finger lassen sollte. Er musste nur seine Abneigung gegen Ermittlungen im Milieu überwinden. Sie war durchaus nicht unbegründet, das war einfach nicht seine Stärke. Aber es war schon zu viel Stillstand in der Sache. Er ging den Kreschtschatik hinunter, dann in eine Querstraße, und betrat die Bar eines von außen prachtvoll illuminierten Hotels.
Sofort wies ihm ein dienstfertiger Kellner einen Tisch mitten im Saal zu. Nicht hochfahrend und arrogant, wie er in Moskau gewesen wäre, sondern fast schüchtern in seiner Höflichkeit.
Ein junges Mädchen kam an seinen Tisch und fragte höflich, ob er einen persönlichen Striptease wünsche.
«Ich würde gern Wasyl sprechen», sagte Konrad.
Sie schüttelte den Kopf. «Wer soll das sein?»
Unaufgefordert näherte sich eine andere Dame und begann einen langwierigen Tanz direkt vor seinem Tisch. Es dauerte, bis sie ihre flachen Brüste entblößt hatte. Konrad sah die glatte Haut und wusste nicht, welchen Gesichtsausdruck er auflegen sollte. Jedes Mal, wenn sie seinen Blick auffing, lächelte sie ihm auffordernd zu. Seine Miene erstarrte bald in dem Bemühen, sie möglichst wohlwollend zu mustern. Der Kellner kam und stellte ihm ebenfalls ungefragt eine eisgekühlte Flasche Wodka auf den Tisch. Damit konnte er sich wenigstens ablenken. Konrad trank das erste Glas.
«Ich möchte den Chef sprechen», sagte er dann.
Ein Mann setzte sich an seinen Tisch. «Niemand weiß, wo er sich aufhält.»
«Wer könnte das wissen?»
Der Mann zuckte mit den Schultern und wollte wieder aufstehen. Konrad ließ ein zweites Glas bringen, goss sich und dem Mann ein, sie stießen an.
Das Mädchen hatte inzwischen nur noch einen Tanga an. Wenn sie sich im Kreise drehte, sah er ihre Pobacken, ein bisschen zu breit und muskulös für die dünnen Beinchen. Seine Verklemmtheit inspirierte sie kaum zu Höchstleistungen; ihm raubten die mechanisch-lasziven Schlangenbewegungen vor seinen Augen die letzte Konzentration.
Erst nach dem dritten Wodka fühlte er sich besser und entdeckte in sich plötzlich den Verdacht, alle Frauen in diesem Laden gehörten in Wirklichkeit ihm und er dürfe jeder, die in seine Reichweite käme, mit fester Hand auf den Popo klatschen. Nur ein minimales Restmisstrauen bewahrte ihn davor, es zu tun, aber seiner Tänzerin legte er schon einmal die flache Hand auf ihre Hinterbacke. Sie ließ es sich gefallen und näherte sich, als zöge er sie zu sich heran. Ihren Bauch und das, was von der rasierten Scham zu erkennen war, bewegte sie jetzt ganz nah vor seinem Gesicht.
Dann trank er noch einen Wodka und noch einen, sein Informant war längst gegangen, und irgendwann fasste das Mädchen ihn sanft am Ellbogen und führte ihn nach hinten, durch einen langen Korridor, dann fuhren sie im Fahrstuhl nach oben. Er achtete nicht auf das Stockwerk. Was dann folgte, war Routine. So betrunken kann man gar nicht sein, dass man die innere Landkarte, auf der der Körper der Frau verzeichnet ist, vergisst.
Die Rechnung konnte er gerade noch bezahlen. Als er morgens um drei Uhr in die frische Luft trat, entzündete sich die Wirkung des Wodkas in seinem Kopf mit einer solchen Wucht, als hätte der Alkohol nur auf Sauerstoffzufuhr gewartet. Seinem Orientierungssinn schien das nichts anzuhaben, er fand instinktiv die Richtung zum Hotel. Er war zufrieden und stolz, als hätte er Kiew endgültig erobert und seine Mission erfüllt.
Sein Gehör war feiner als sonst, empfindlich wie ein Pinsel, der jeden Geräuschkrumen von der Wirklichkeit aufnimmt. Jeden einzelnen Wassertropfen, der von Zweigen oder Dachrinnen aufs Pflaster fällt. Noch etwas anderes fiel ihm auf, gerade weil es um diese Zeit so still war: ein feuchtes Schmatzen, das sich in die Länge zog. Das Geräusch von Schuhsohlen auf dem nassen Straßenpflaster. Er drehte sich um und konnte gerade so das Gleichgewicht halten, entdeckte aber niemanden. Kaum ging er weiter, hörte er die Schritte wieder. Am Anfang zögerlich, wie ein Echo. Dann schneller, wenn auch er schneller ging.
Jemand folgte ihm. Er beschloss, den Verfolger nicht auf die Spur seines Hotels zu bringen und die Richtung zu ändern. Nach einem Schlenker schlug er die Gegenrichtung ein und ging einfach immer
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