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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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treffen.“
    Die Pioniere hielten den Atem an. Sie vermochten den Blick nicht von dem Schuldirektor abzuwenden. Dieser trug einen dunklen Anzug, der jedoch an ihm etwas plump wirkte, und auf dem Revers prangte ein Stern des Ordens der Roten Fahne, an dem die Blicke der Knaben immer wieder voll Neid und Bewunderung hängen blieben.
    „Nun denn“, fuhr Wasilij Wasiljewitsch Banow fort. „Ich verstehe, dass es ungerecht wäre, die anderen Gruppen von einem Treffen mit dem Deputiertenkandidaten völlig auszuschließen, aber in jedem Fall ist Strenge angebracht. Deshalb schlage ich vor, dass jede Gruppe für ein Treffen ihre drei besten Pioniere bestimmt, die dann ihren Gruppen über alles, was sie dort hören, berichten können. Das ist alles, ihr könnt wegtreten. Und der Gruppe der 5A -Klasse befehle ich, sich in genau zwanzig Minuten vollzählig in der Roten Ecke der Schule einzufinden.“
    Die Pioniere gingen in ihre Klassen, um über die Abgesandten für das Treffen offen abzustimmen. Nur die 5A , achtundzwanzig Jungen und Mädchen, die zu einem lebendigen, kollektiven Organismus zusammengeschweißt waren, ging einträchtig nach draußen, um die hin und wieder vorbeifahrenden Lastwagen zu bestaunen. Ihr Pionierführer Petja Kolzow übertrug Wanja Klimtschak die Verantwortung für die Zeit, da Wanja als einziger in der ganzen Klasse eine Uhr besaß.
    In der Dajew-Gasse war es ruhig, Lastwagen fuhren keine vorüber. Die Mädchen bildeten einen eigenen Kreis und begannen etwas zu erörtern, während die Jungen zu zweit oder zu dritt zusammenstanden und gelegentlich recht unbedeutende Worte austauschten.
    Plötzlich näherte sich geräuschlos ein Wagen und ein schwarzer „ SIM “ hielt vor dem Eingang zur Schule, dem ein großgewachsener Mann mit kurz geschnittenem Haar entstieg. In der Hand hielt er eine Aktenmappe aus schwarzem Leder. Er richtete seinen Hemdkragen, griff mit der Hand nach dem Krawattenknoten, um zu prüfen, ob dieser richtig saß, und ging dann zum Schultor hinauf.
    Die Rote Ecke befand sich am Ende des Korridors. Der Raum war ein wenig größer als ein normales Klassenzimmer und zeichnete sich stets durch beneidenswerte Sauberkeit aus. An jedem Schultag räumten dort plangemäß zwei Personen auf, und zwar tadellos. Nach diesem Plan wurden nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer, einschließlich des Schuldirektors, eingeteilt. Im Zuge der Aufräumarbeiten schrubbten die Beauftragten den Boden, putzten die Ecken, nahmen die Wandzeitungen und andere politische Materialien von den Wänden und befreiten sie sorgfältig von Staub. Auch an diesem Tag glänzte die Rote Ecke nur so. Die 5A saß bereits auf den besten Plätzen, und soeben füllten sich auch die hinteren Stuhlreihen mit den Abgesandten der restlichen Pioniergruppen.
    Einer fand keinen Platz mehr, da stellten findige Jungen und Mädchen zwei Stühle zusammen und nahmen zu dritt darauf Platz.
    Die Tür öffnete sich und herein kam der Direktor mit dem Deputiertenkandidat. Die gesamte Kinderschar erhob sich und erstarrte feierlich.
    „Guten Tag, Genossen Pioniere!“ Der Deputiertenkandidat nickte den Kindern zu und blickte den Direktor an.
    „Setzen!“, sagte der Direktor.
    „Schau, was für ein Muttermal er auf der Wange hat!“, flüsterte ein Pioniermädchen seiner Freundin zu.
    „Ja …“, nickte die andere. „Sieht aus wie der Polarforscher Schirschow!“
    „Hast du den etwa schon mal gesehen?“, wunderte sich die erste.
    „Ja, in der Zeitung …“
    Und plötzlich verstummte das Mädchen, als es den Blick des Direktors auf sich spürte, und wurde rot.
    „In der Zeitung?“, wiederholte ihre Freundin flüsternd, aber anstatt einer Antwort erhielt sie einen leichten Schlag auf das Knie.
    „Nun denn“, begann der Direktor erneut zu sprechen, während er in die aufmerksamen Gesichter der versammelten Kinder blickte. „Ich darf euch den Deputiertenkandidaten für den Obersten Sowjet der RSFSR vorstellen, Direktor der berühmten Fabrik ‚Hammer und Sichel‘, Grigorij Markelowitsch Siljin. Ihr könnt ihm Fragen stellen … und auch mit ihm sprechen … Bitte!“
    Der Direktor verließ das Zimmer und der Deputiertenkandidat nahm auf dem für ihn vorgesehenen Stuhl Platz. Es schien, als ob der Kandidat nervös sei. Wenigstens fühlte er sich nicht ganz wohl: Er kaute auf seinen dicken Lippen herum, als würde er sich mögliche Antworten überlegen.
    In der ersten Reihe streckte sich eine Hand empor, und Grigorij Markelowitsch

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