Der Wald der Könige
Wald, in dem kleinen Flusstal bei Boldre, schrie eine Eule. Luke wartete geduldig.
Es war noch vor Morgengrauen, als eine Gestalt aus der Scheune schlüpfte und sich leise über die Koppel zu den Bäumen pirschte. Obwohl der Fremde etwa fünfzig Meter von ihm entfernt vorüberschlich, wusste Luke genau, um wen es sich handelte. Kurz darauf hörte er, wie das Pferd hinter ihm durch die Bäume trabte.
Nach einer Weile machte Luke sich auf den Weg zur Scheune.
Als die Nachricht eintraf, dass das Grafschaftsgericht des New Forest kurz vor dem St. Michaelstag wieder zusammentreten würde, war der Abt noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt. John von Grockleton überlegte zwei Tage lang, bevor er wusste, was er unternehmen sollte. Doch ehe er seinen Entschluss bekannt gab, ließ er Bruder Adam kommen.
Als er den Mönch betrachtete, der nun vor ihm stand, fiel ihm auf, dass Adam außergewöhnlich erholt wirkte. Sein Gesicht war nach den Wochen draußen auf den Feldern sonnengebräunt, und er sah kräftiger, ja sogar ein wenig größer aus. Da Grockleton wusste, dass Adam lieber im Kloster geblieben wäre, und weil sich dieser kräftige Körperbau eigentlich gar nicht für einen Mönch schickte, neidete er ihm seine blühende Gesundheit nicht. Er hatte nur eine Frage an Bruder Adam: »Hat einer deiner Tagelöhner von dem entflohenen Bruder Luke gehört?«
»Davon hat mir niemand berichtet«, erwiderte Bruder Adam wahrheitsgetreu.
»Glaubst du, dass irgendjemand weiß, wo er steckt?«
Bruder Adam hielt inne. Mary sprach häufig über Luke. Sie hatte ihm Lukes Version der Ereignisse erzählt, und obwohl er sie nie unmittelbar darauf angesprochen hatte, schloss er aus ihren Worten, dass ihr Bruder sich irgendwo im New Forest verbarg. »Wahrscheinlich vermuten die meisten Erntehelfer, dass er inzwischen über alle Berge ist.«
»Das Gericht tagt bald wieder. Wenn er hier im New Forest ist, verlange ich, dass er gefunden wird«, sagte Grockleton. »Was rätst du mir?«
Adam zuckte die Achseln. »Sicher weißt du«, entgegnete er zögernd, »dass man allgemein glaubt, er habe einen Kampf verhindern wollen. Der Richter selbst hat angedeutet, dass das im Bereich des Möglichen liegt. Ich frage mich, ob man schlafende Hunde vielleicht besser nicht wecken sollte.«
»Der Standpunkt des Gerichts kümmert mich wenig«, zischte Grockleton. »Man erwartet von mir, dass ich Luke herbeischaffe, und das habe ich auch vor. Also werde ich eine Belohnung aussetzen. Einen Preis auf seinen Kopf.«
»Ich verstehe.«
»Zwei Pfund für denjenigen, der ihn mir bringt. Ich glaube, das dürfte dem Gedächtnis der Bauern auf die Sprünge helfen.«
»Zwei Pfund?« Das war für Männer wie Pride und Furzey ein kleines Vermögen. Bruder Adam verzog das Gesicht, als er daran dachte, welche Sorgen Mary sich machen würde.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« Grockleton sah ihn argwöhnisch an.
»Nein, Prior.« Bruder Adam fasste sich. »Aber es ist eine sehr hohe Summe.«
»Ich weiß«, erwiderte der Prior mit einem Lächeln.
Manchmal, wenn Adam bei Mary lag, ergriff ihn Staunen darüber, dass so etwas überhaupt hatte geschehen können.
Sie wagten nicht, Licht zu machen. Spät in der Nacht, wenn die Kinder schliefen, schlich sie sich hinaus in die Scheune. Zum Glück tollten die Kleinen den ganzen Tag herum, sodass sie abends rechtschaffen müde waren. Bruder Adam, der sich zwischen den Bäumen versteckt hatte, ging ihr dann entgegen. Allmählich lernte er, sich lautlos zu bewegen.
Bei ihrem dritten Stelldichein hatte sie sich vor ihm aufgebaut und sich im Schein des Mondlichts ausgezogen, das durch einen Spalt in der Tür fiel. Gebannt hatte er zugesehen, wie sie das grobe Gewand abstreifte und barfuß, nur im Leinenhemd, vor ihm stand. Mit einem leichten Kopfschütteln lockerte sie ihr dunkles Haar, sodass es ihr offen über die Schultern fiel. Dann zog sie das Hemd herunter, zeigte ihm ihre vollen, weißen Brüste und ließ das Kleidungsstück zu Boden gleiten. Als sie sich nackt zu ihm herunterbeugte, verschlug es ihm den Atem.
Ihr Geruch, ihre Berührungen, das alles war völlig neu für ihn, als er ohne Scheu ihren Körper erkundete. Wenn sie getrennt waren, stand ihm in den ersten Tagen ihr Bild, wie eine Geistererscheinung, vor Augen. Aber er stellte fest, dass er hauptsächlich an ihren Körper dachte. Und wenn er sich neue Wege ausmalte, sich ihr zu nähern und sie zu besitzen, wurde er von Sehnsucht und Begierde
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