Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
tat er es jetzt, in diesem Augenblick, ohne es zu bemerken?
    Die Mönche knieten nieder, um zu beten. Doch Bruder Adam murmelte die Worte nicht mit. Er schloss den Mund und biss sich auf die Zunge, um sicherzugehen, dass er sich nicht verriet. Vor Scham errötet, warf er einen verstohlenen Blick auf die Gesichter der Brüder. Wussten sie von seinem Geheimnis?
    Offenbar nicht. Die geschorenen Köpfe waren andächtig gesenkt. Oder wurde er doch heimlich beobachtet? Würde Grockletons Blick sich strafend auf ihn richten und ihn verurteilen?
    Es war weniger das schlechte Gewissen, das ihm zu schaffen machte, als vielmehr die Angst, er könnte, ohne es zu wollen, hier in der Kirche mit der Wahrheit herausplatzen. So wurde die Morgenandacht, die ihm gewöhnlich neue Kraft verlieh, zur Qual. Als es vorbei war und er nach draußen gehen konnte, war er erleichtert.
    Nach dem Frühstück beruhigte er sich wieder ein wenig und suchte den Prior auf.
    Für gewöhnlich widmete der Prior die Morgenstunden den Verwaltungsangelegenheiten. Doch man konnte sich auch mit anderen Anliegen an ihn wenden. Falls man zum Wohle der Gemeinschaft eine Meldung machen musste – »Ich fürchte, ich habe gesehen, wie Bruder Benedikt eine doppelte Portion Hering verspeist hat.« Oder: »Bruder Mark hat gestern während der Arbeitszeit geschlafen.« –, so war der Vormittag der richtige Zeitpunkt dafür.
    Adam, der sich fragte, ob jemand seine Verfehlung melden würde, wartete bis zum letzten Moment, bevor er eintrat. Er wollte Gewissheit haben. Doch Grockleton schien ahnungslos.
    »Es tut mir Leid, aber ich muss mich über Tom Furzey beklagen«, begann Bruder Adam und schilderte Grockleton, was sich auf dem Feld ereignet hatte. Der Prior nickte nachdenklich.
    »Du hattest Recht, den Mann nicht sofort nach Hause zu schicken«, sagte er. »Wahrscheinlich hätte er seine arme Frau noch einmal geschlagen.«
    »Aber jetzt muss er gehen«, sagte Adam. »So ein zügelloses Verhalten können wir nicht dulden.« Er war überzeugt, dass der Prior ihm von ganzem Herzen zustimmen würde.
    Stattdessen jedoch schwieg Grockleton und betrachtete Adam forschend. »Ich frage mich«, meinte er und schob langsam seinen Stuhl zurück, »ob das richtig wäre.«
    »Wenn ein Tagelöhner den Aufsicht führenden Mönch beleidigt… «
    »Ist das natürlich zu verurteilen.« Grockleton schürzte die Lippen. »Doch vielleicht, Bruder Adam, müssen wir die Sache in einem größeren Zusammenhang betrachten.«
    »In einem größeren Zusammenhang?« So etwas war beim Prior noch nie vorgekommen.
    »Möglicherweise ist es besser, wenn dieser Mann eine Weile von seiner Frau getrennt ist. Er wird sie vermissen und seine Tat hoffentlich bereuen. Nach einiger Zeit sollte einer von uns in aller Ruhe mit ihm sprechen.«
    »Aber bringt mich das nicht in eine unangenehme Lage, Prior? Er und die anderen Männer könnten glauben, sie dürften ungestraft unverschämt werden.«
    »Wirklich? Findest du?« Grockleton betrachtete die Tischplatte. »Bruder Adam, zuweilen kostet es uns große Mühe, unsere eigenen Gefühle zum Wohle anderer hintanzustellen. Zweifellos wird Furzey auch in Zukunft ordentlich seine Arbeit erledigen. Dafür wirst du sorgen. Möglicherweise befürchtest du, dich lächerlich gemacht zu haben, oder fühlst dich sogar gedemütigt. Doch wir alle müssen lernen, mit diesen Dingen zu leben. Das gehört zu unseren Aufgaben. Meinst du nicht?« Er lächelte zuckersüß.
    »Also darf Furzey bleiben, auch wenn er mich wieder beleidigt?«
    »Ja.«
    Bruder Adam nickte. Das ist seine Rache dafür, dass ich ihn am Fluss bloßgestellt habe, dachte er. Und dabei war es nicht meine Schuld gewesen, sondern ganz allein seine.
    Er verneigte sich vor dem zufriedenen Grockleton.
    Wenn der Prior Furzey nach Hause geschickt hätte, wäre dieser zu seiner Frau zurückgekehrt, was es ihm, Adam, unmöglich gemacht hätte, sich mit Mary heimlich zu treffen. Nun jedoch war sie allein.
    Du ahnst ja gar nicht, John Grockleton, dachte er, was du damit vielleicht angerichtet hast.
     
     
    Luke schlich durch die Dunkelheit. Der silbrige Mond war zwar nur noch eine schmale Sichel, aber die Sterne verbreiteten genügend Licht. Das Pferd war etwa hundert Meter entfernt an einem Baum angebunden. Nun hatte er es schon zum dritten Mal dort gesehen.
    Er legte sich am Waldesrand flach auf den Boden. Von dort aus hatte er den kleinen Bauernhof im Auge, wo er so viele Winternächte verbracht hatte. Hinter ihm im

Weitere Kostenlose Bücher