Der Wald der Könige
ergriffen.
Doch es war noch mehr als das. Ihr ganzes Leben und ihre Art zu denken eröffneten ihm eine neue Welt, die er ganz und gar kennen lernen wollte. Mein Gott, schoss es ihm durch den Kopf, ich habe das Universum des Herrn erfahren, und dennoch ahnte ich nichts von seiner Schöpfung. Und das Seltsamste war, dass er sich nicht schuldig fühlte. Er war zu ehrlich, um sich selbst zu täuschen. Eigentlich war er stolz auf sich. Die ständige Gefahr, entdeckt zu werden, steigerte die Aufregung noch, und ihm fiel ein, dass er noch nie zuvor etwas Abenteuerliches getan hatte.
Und die Bedrohung für seine unsterbliche Seele? Wenn er bei ihr war und sich der Leidenschaft hingab, war ihm, als habe er eine andere Welt betreten, die ebenso schlicht und erfüllt von Gottes Gegenwart war wie die uralte Wüste, lange vor der Zeit, in der jemand sich den Zölibat erdacht hatte. Und in diesen Momenten erschien es Bruder Adam, ungeachtet der Gelübde, die er abgelegt hatte, als habe er seine unsterbliche Seele nicht verloren, sondern endlich gefunden.
Wie lange konnte es noch so weitergehen? Das wusste er nicht. Furzey hatte seiner Familie nur einmal einen kurzen Besuch abgestattet. Da ihn offenbar nichts dorthin zog, war es nicht weiter schwer, dafür zu sorgen, dass er auf den Gütern zu tun hatte. Adam hatte sich bereits Mittel und Wege ausgedacht, den Bauern bis Mitte September zu beschäftigen. Seine eigene Abwesenheit war leicht zu erklären. Er verbrachte viele Nächte in der Abtei. Wenn er abends sagte, er werde noch schnell zum nächsten Gut weiterreiten, stellte ihm niemand Fragen. Und was den Prior betraf, erfüllte ihn der Gedanke, dass Adam wieder einmal eine Nacht fern der Abtei weilen musste, mit Schadenfreude. Bis zum Herbst konnte also nichts geschehen.
Eines Nachts, als Mary und er erschöpft beisammenlagen, erzählte er ihr von der Absicht des Priors, einen Preis auf den Kopf ihres Bruders Luke auszusetzen. Er wollte ihr damit auch helfen, und sie für den Fall, dass sie wirklich Lukes Aufenthaltsort kannte, rechtzeitig warnen. Aber ihre Reaktion überraschte ihn.
Sie fuhr im Stroh hoch. »O Gott. Zwei Pfund?« Sie blickte starr geradeaus. »Puckle verrät ihn nicht. Nicht einmal für so viel Geld.« Sie hielt inne und sah ihn an. »So.« Sie seufzte. »Jetzt weißt du es.«
»Er ist bei Puckle, dem Köhler?«
»Ja, drüben in der Nähe von Burley.«
»Nun, ich werde es niemandem verraten.«
»Wehe, wenn du es tust.«
»Eigentlich ist es komisch.« Er kicherte.
»Warum?«
»Ich glaube, ich bin ihm schon begegnet.«
»Oh.« Sie schwieg eine Weile. »Dann kannst du ja gleich noch etwas erfahren: Er war vorgestern Morgen hier. Sehr früh.«
»Und?«
»Er weiß über uns Bescheid. Er hat dich gesehen.«
»Oh.« Nun stellte sich die Sache für Adam in einem neuen Licht dar. Der flüchtige Laienbruder hatte etwas gegen ihn in der Hand – das war gefährlich. »Was hat er dazu gesagt?«
»Nicht viel.«
»Ich denke«, meinte Adam, »dass er in seinem Versteck mehr oder weniger sicher ist. Sobald ich etwas höre, gebe ich dir Bescheid.«
Als Adam aus der Scheune schlüpfte, graute schon der Morgen. Er versprach, in zwei Nächten wiederzukommen. Wie immer pirschte er sich vorsichtig durch die Bäume und ritt leise durch den Wald zur Furt.
Sein Aufbruch wurde aufmerksam beobachtet. Aber diesmal nicht von Luke.
Am nächsten Tag hatte sich herumgesprochen, dass John von Grockleton zwei Pfund auf Lukes Kopf ausgesetzt hatte. Am Abend erreichte die Nachricht Burley. Puckle selbst war nach Hause gegangen und hatte Luke mit der Beaufsichtigung des neuen Kohlenmeilers beauftragt. Nun hatte sich die Familie Puckle vor der Hütte versammelt.
»Zwei Pfund«, sagte Puckles Sohn.
»Was sind schon zwei Pfund?«, entgegnete Puckle.
»Zwei Pfund… «, wiederholte sein Neffe.
Puckle sah sie alle nacheinander an. Dann betrachtete er seine Frau, die so klug war, den Mund zu halten.
Puckle briet gerade einen Hasen am Spieß über dem Lagerfeuer, das er draußen angezündet hatte. Das Hasenfell lag ihm zu Füßen am Boden. Nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, zeigte er mit dem Finger darauf. »Habt ihr schon einmal gesehen, wie ich einen Hasen häute?«, fragte er leise. Alle nickten. Dann wies er auf den Hasen am Spieß. »Wenn einer von euch auch nur ein Sterbenswörtchen über Luke verrät«, sagte er, schaute erst seinen Sohn, dann seinen Neffen an und ließ schließlich seine Blicke über die Runde
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