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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Schon gingen die ersten Sterne am Himmel auf.
    »Vielleicht kommt er jetzt«, sagte Jonathan. Er konnte sich den Drachen bildhaft vorstellen: etwa so groß wie eine Kuh, mit gewaltigen Schwingen. Sicher war er grün und schuppig. Seine Flügel rauschten gewiss wie bei einem gewaltigen Schwan, und wenn er Feuer spuckte, zischte es. Mehr würde man in der Dunkelheit wahrscheinlich nicht erkennen.
    Nun war die Sonne untergegangen. Sterne erleuchteten den saphirfarbenen Himmel. Die Umrisse von Burley Beacon wirkten finster und bedrohlich. Die beiden Jungen warteten und ließen den Berg nicht aus den Augen.
     
     
    Als Jonathan bei Anbruch der Dämmerung noch immer nicht zurückgekehrt war, marschierte Henry Totton widerwillig zum Kai hinunter und auf die heruntergekommene Behausung von Alan Seagull zu. Ob er seinen Sohn gesehen habe? Nein, erwiderte der Seemann ein wenig erstaunt. Beide Jungen waren seit dem Morgengrauen verschwunden, und er hatte keine Ahnung, wo sie steckten.
    Zuerst befürchtete Totton, sie seien mit einem Boot hinausgefahren, aber Seagull vergewisserte sich rasch, dass keines fehlte. Oder waren sie gar irgendwo in den Fluss gefallen?
    »Mein Sohn ist ein sehr guter Schwimmer«, meinte Seagull. »Was ist mit Eurem?«
    Zu seiner Beschämung musste Totton feststellen, dass er das nicht wusste.
    Dann berichtete jemand, er habe die beiden Jungen am frühen Morgen die Stadt verlassen sehen. War ihnen vielleicht im New Forest etwas zugestoßen? Doch das schien unwahrscheinlich. Seit Jahren schon waren keine Wölfe in dieser Gegend gesichtet worden, und für Schlangen war es noch zu früh im Jahr.
    »Und wenn sie in ein Mühlrad gestürzt sind?«, fragte Alan Seagull bedrückt.
    Als die Sperrstunde begann, hatte man sich mit dem Bürgermeister und dem Gutsverwalter beraten und zwei Suchtrupps mit Fackeln ausgerüstet. Der eine machte sich auf den Weg zu den Mühlen von Old Lymington, während der andere die Wälder oberhalb der Stadt erkundete. Wenn nötig, würden sie die ganze Nacht lang weitersuchen.
     
     
    Die Hütte bot guten Schutz. Da sie die Farnwedel fest zusammengedrückt hatten, hielten diese die Kälte ab. Zum Glück war es keine besonders kalte Nacht, und die beiden Jungen schmiegten sich dicht aneinander.
    Die Nacht war mondlos. Hell leuchteten die Sterne zwischen den Wolken hervor. Die Jungen hatten gewartet, bis ihnen vor Müdigkeit fast die Augen zufielen, dann waren sie zu dem Schluss gelangt, dass der Drache sich heute Nacht wohl nicht zeigen würde.
    »Wenn du ihn siehst, weckst du mich«, sagte Jonathan seinem Freund.
    »Und du mich auch.«
    Nachdem sie sich hingelegt hatten, konnten sie – vielleicht wegen des Taus auf ihren Gesichtern oder aus Furcht vor wilden Tieren – eine Weile nicht einschlafen. Und während sie zum Nachthimmel hinaufblickten, sprach Willie das Thema an, das sie bereits am Vortag erörtert hatten. »Glaubst du wirklich, dass das Schiff deines Vaters aus Southampton das von meinem Vater schlägt?«
    »Keine Ahnung«, erwiderte Jonathan wahrheitsgemäß. Ganz Lymington hatte gestern von der wichtigen Wette gesprochen. Doch da Jonathan fand, dass er es seinem Freund und dessen Familie schuldig war, alles zu sagen, was er wusste, fügte er hinzu: »Wenn mein Vater um einen so hohen Einsatz wettet, ist er bestimmt überzeugt davon, dass er gewinnt. Er ist sehr vorsichtig. Ich glaube nicht, dass dein Vater auf Sieg setzen sollte.«
    »Er wettet nie.«
    »Warum?«
    »Er sagt immer, dass er so schon genug Risiken eingeht. Da braucht er nicht auch noch zu wetten.«
    »Was für Risiken?«
    »Schon gut. Das darf ich dir nicht erzählen.«
    Oh, dachte Jonathan, was für ein großes Geheimnis ist das? Er wurde neugierig.
    Willie schwieg eine Weile. »Ich verrate dir etwas«, meinte er schließlich.
    »Was?«
    »Das Schiff meines Vaters fährt viel schneller, als dein Vater denkt. Aber sag ihm das nicht.«
    »Warum?«
    Willie erwiderte nichts. Als Jonathan noch einmal nachhakte, erhielt er keine Antwort. Auch mit einem sanften Rippenstoß ließ Willie sich nichts entlocken.
    »Dann zwicke ich dich«, drohte Jonathan.
    »Lass das.«
    »Gut. Also raus mit der Sprache.«
    Willie holte tief Luft. »Schwörst du, es für dich zu behalten?«, begann er.
     
     
    Ganz Lymington war in Aufruhr, als Jonathan Totton und Willie Seagull am nächsten Morgen wohlbehalten eintrafen. Sie kamen schon früh zurück, denn sie waren gleich bei Morgengrauen aufgebrochen.
    Ganz Lymington freute

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