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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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auf ihnen umhergehen konnte. Mit hölzernen Kellen wurde das Wasser bis zu einer Höhe von etwa einem Zentimeter aus dem Speicherbecken hineingeschöpft. Und dann begann man mit der eigentlichen Salzgewinnung.
    Diese war verhältnismäßig einfach. Das Wasser musste verdunsten, was jedoch nur im Sommer möglich war. Je wärmer das Wetter und je heißer die Sonne, desto mehr Salz konnte man herstellen. Für gewöhnlich begann die Saison Ende April und dauerte in guten Jahren etwa sechzehn Wochen – bei schlechtem Wetter vielleicht nur zwei Wochen.
    Wichtig war, das Wasser zum Verdunsten sorgfältig in die verschiedenen Becken zu verteilen.
    »Jede Verdunstung braucht ihre Zeit, Jonathan«, hatte sein Vater ihm schon vor langem erklärt. »Und das Salz darf uns nicht ausgehen.«
    Deshalb wurde das Wasser durch windgetriebene Pumpen von einem Becken in das andere geschöpft, wobei sich durch die schrittweise Verdunstung die Salzkonzentration immer mehr erhöhte.
    Die Pumpen waren von einfacher Bauart, wie man sie im New Forest vermutlich schon zur Zeit der Angelsachsen benutzt hatte. Im Nahen Osten hatte man mehr oder weniger ähnliche Gerätschaften zweitausend Jahre zuvor verwendet. Sie waren etwa dreieinhalb Meter hoch und mit kleinen, an einem schlichten Holzkreuz befestigten Flügeln versehen. Die Flügel trieben eine Winde an, die wiederum eine Pumpe bewegte. So wurde das Wasser von einem flachen Becken in das nächste geschafft, bis es zu guter Letzt das Siedehaus erreichte.
    An diesem Tag wollte Totton die Anlage inspizieren, damit nach dem Winter möglicherweise notwendig gewordene Reparaturen rechtzeitig ausgeführt werden konnten. Dabei erklärte er seinem Sohn alles ganz genau.
    »Der Kanal zum Speicherbecken muss geräumt werden«, stellte der Junge fest.
    »Ja.« Henry nickte. Außerdem war es nötig, einige Erdwälle zwischen den Becken instand zu setzen.
    Jonathan machte sich nützlich, indem er die Wälle leichtfüßig abging und jeden Riss mit Kalkfarbe kennzeichnete. »Müssen wir auch den Grund der Becken reinigen?«, fragte er.
    »In der Tat«, erwiderte sein Vater.
    Schließlich ging es ans eigentliche Salzsieden. Nachdem das Meerwasser im letzten Becken angekommen war, hatte es sich in eine hoch konzentrierte Salzlake verwandelt. Der Salzsieder legte eine mit Blei beschwerte Kugel hinein, und wenn diese oben schwamm, wusste er, dass die Lake dick genug war. Dann ließ er sie ins Siedehaus fließen, indem er eine Schleuse öffnete.
    Das Siedehaus war ein Schuppen mit verstärkten Wänden, und in diesem stand die Siedepfanne, ein gewaltiger Behälter mit einem Durchmesser von etwa zweieinhalb Metern. Der Ofen darunter wurde mit Holzkohle oder Holz beheizt. Hier verdampfte das Wasser langsam, bis eine dicke Salzkruste übrig blieb.
    In der Salzsaison war das Siedehaus fast ununterbrochen in Betrieb. Jeder Siedevorgang dauerte etwa acht Stunden. Wenn man am Sonntagabend begann und bis Samstagabend weiterarbeitete, konnte man auf diese Weise sechzehn Portionen wöchentlich sieden. So wurden in Henry Tottons Siedehaus fast drei Tonnen Salz pro Woche gewonnen. Es war zwar nicht rieselfähig und nicht sehr rein, aber es genügte.
    »Pro Tonne Salz verbrauchen wir neunzehn Scheffel Kohle«, erklärte Totton. »Wenn der Preis eines Scheffels…«
    Doch Jonathan war schon wieder geistesabwesend. Dem Siedehaus konnte er nicht viel abgewinnen. Während des Siedens brannten ihm die salzhaltigen Dampfwolken in den Augen, und nach einer Weile bekam er stets heftige Halsschmerzen. Rings um das Gebäude war der Boden von Kohlenasche geschwärzt. Deshalb lief Jonathan wenn möglich am liebsten davon, um die frische Meeresluft einzuatmen und die Brachvögel und Möwen am Rande des Speicherbeckens zu beobachten.
    Nachdem sein Vater Jonathan ausführlich erläutert hatte, wie man den Gewinn berechnete, der bei gutem Wetter in einer sechzehnwöchigen Saison abfiel, stellte er fest, dass der Junge ihn nachdenklich ansah.
    »Vater, darf ich dich etwas fragen?«
    »Selbstverständlich, Jonathan.«
    »Aber…«, der Junge zögerte, »… es hat etwas mit Geheimnissen zu tun.«
    Totton zuckte zusammen. Geheimnisse? Also wollte der Junge nichts über Salz wissen, nichts von dem, was er ihm in der letzten halben Stunde beizubringen versucht hatte. Hatte Jonathan überhaupt etwas davon verstanden? Wie so oft wurde er von Enttäuschung und Gereiztheit ergriffen. Er bemühte sich, sich zu beherrschen und sich nichts anmerken zu

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