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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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eine andere Kate bewohnt. Aber immer in Oakley«, fügte er mit Nachdruck hinzu für den Fall, dass dieser Umstand eine Rolle spielte.
    »Sehr gut. Setzt Euch und wartet.« Der Anwalt lächelte ihm beschwichtigend zu. »Ihr habt doch sicher ein wenig Geduld. Wollen wir mal sehen, was sich finden lässt.«
     
     
    Die Jagd hatte weniger als eine Viertelstunde gedauert. Stephen Pride konnte es noch immer nicht fassen.
    Und dabei war alles ausgezeichnet vorbereitet gewesen. Man hatte den König, bewaffnet mit dem traditionellen Bogen, in einen gut geeigneten Hain gebracht. Hinter ihm scharten sich seine Damen. Pride und die anderen Waldbewohner trieben mit Hilfe der Förster und zweier Höflinge ein paar Hirsche heran, worauf der König gut gelaunt einen Pfeil abschoss. Dieser sauste dicht über den Kopf eines Hirsches hinweg und bohrte sich in einen Baum.
    »Guter Schuss, Sire!«, rief einer der Höflinge, während sich Karl II. der keine Spur von Enttäuschung zeigte, lobheischend zu seinen Damen umwandte.
    Als Stephen Pride kurz darauf vorbeiritt, hätte er schwören können, dass Nellie rief: »Ich hoffe, du tust keinem dieser armen, kleinen Hirsche weh, Karl.« Wenig später, als sie gerade wieder ein paar Hirsche herantreiben wollten, hieß es: »Nach Boldrewood.« Und zum großen Missfallen der Waldbewohner schickte man sich an, zur Jagdhütte zurückzukehren, wo Erfrischungen warteten. Stephen fragte sich, ob alle Könige so sprunghaft waren.
    Allerdings langweilte sich Karl II. ganz und gar nicht. Er ging seinem liebsten Zeitvertreib nach, nämlich alles, was um ihn herum geschah, scharf zu beobachten – was die meisten Menschen ihm gar nicht zutrauten – und dabei mit hübschen Frauen anzubändeln. Eine Stunde später war er gerade fröhlich mit letzterer Übung beschäftigt, als er zu seinem Verdruss zwei Gestalten auf sich zureiten sah, die in braunes Tuch gekleidet waren. »Wer zum Teufel mag das sein?«, flüsterte er dem Oberförster zu. Alice Lisle, teilte man ihm mit. Das Kind sei ihre Tochter.
    »Soll ich sie wegschicken, Sire?«, fragte Howard und wandte sich zu den beiden um.
    »Nein«, antwortete der König, »obwohl ich wünschte, Ihr könntet sie einfach verschwinden lassen.«
    Der König erkannte auf den ersten Blick, dass die Frau sich große Mühe mit ihrer Garderobe gegeben hatte. Ihr rotes Haar, das graue Strähnen aufwies, war in der Mitte gescheitelt. Sie hatte es zu Locken aufgedreht und toupiert, damit es voller wirkte. Ihr schlichtes Kleid war schon lange aus der Mode, bestand jedoch aus gutem Tuch. Zweifellos eine puritanische Adelige, eine Witwe, die ihre eigene Verbitterung insgeheim bedauerte – also ganz und gar nicht die Art Frau, für die der König schwärmte. Doch er hatte ein wenig Mitleid mit ihr. Das kleine Mädchen wirkte um einiges viel versprechender. Sie war hellhäutiger als ihre Mutter und hatte blaugraue, lebhaft funkelnde Augen.
    Als Howard zurückkehrte und ihm zumurmelte, die Witwe Lisle sei hier, da sie ihn um einen Gefallen bitten wolle, musterte Karl sie eine Weile. Dann meinte er: »Ihr und Eure Tochter müsst unsere Gäste sein, Madam.«
    Boldrewood war ein hübsches Anwesen. Es lag etwa sechs Kilometer westlich von Lyndhurst am Rande einer baumlosen Heide und bestand aus einem Pferch, einem kleinen Hain, in dem auch eine alte Eibe wuchs, und den üblichen Nebengebäuden. Das Haupthaus war ziemlich bescheiden, eigentlich nur eine schlichte Hütte, und wurde von einem adeligen Förster bewohnt. Daneben, unweit zweier stattlicher Eichen, stand das Häuschen des Forstgehilfen Jim Pride. Da es ein schöner Tag war, hatte man die Erfrischungen draußen im Schatten der Bäume aufgebaut.
    Verschiedene Süßigkeiten, Wildpastete und ein leichter Bordeauxwein, all das wurde Alice und ihrer Tochter angeboten, nachdem sie auf Klappstühlen Platz genommen hatten. Der König und einige seiner Damen ruhten auf zusammengefalteten, mit schwerem Damast drapierten Decken. Alice verstand sofort, dass der König sie bestrafen wollte, indem er sie zwang, sich an dieser leichtlebig-lässigen Konversation zu beteiligen.
    Diese Leute verkörperten alles, wogegen sie und John Lisle gekämpft hatten. Die prächtigen Kleider und das unmoralische Betragen sprachen Bände. Alice fühlte sich, als sei sie an den Hof des katholischen Königs von Frankreich geraten. Die Sittenstrenge, die Cromwell zumindest angestrebt hatte, war diesen genusssüchtigen Menschen von Grund auf fremd. Doch

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