Der Wald der Könige
Schon einen Tag später konnte der Bürgermeister einige Dutzend gerüstete Kämpfer stellen. Die meisten Kaufleute und kleinen Adligen hielten zu ihm. Pride selbst hatte sechs ortsansässige Honoratioren an Oakley vorbei zu Alices Haus reiten sehen, um sie um Unterstützung zu bitten. Ein Reiter hatte Monmouth bereits eine Botschaft mit dem Wortlaut »Lymington steht hinter Euch« überbracht. Am vergangenen Nachmittag war man mit Pfeifen und Trommeln durch die Straßen marschiert. Danach gab es im Hause eines Kaufmanns Bier und Punsch für alle. Es war wie ein Volksfest.
Wie der Anwalt John Hancock, so betrachtete auch Stephen Pride, der Bauer, das Treiben mit Argwohn. »Sollen die Leute in der Stadt sich nun ereifern«, meinte er zu seinem Sohn Jim. »Wir im New Forest sind klüger. Ganz gleich, was mit Monmouth geschieht, ich habe immer noch meine Kühe, und du bleibst Forstgehilfe. Gott sei Dank«, fügte er hinzu, »dass Dame Alice nicht hier ist. Die Leute würden sie in die Sache hineinziehen, ob sie nun will oder nicht.«
So war er verhältnismäßig vergnügter Stimmung, als er etwa hundert Meter hinter dem Weiher einige Leute bemerkte, die einem Streit lauschten. Neugierig kam er näher.
Man sah die beiden Furzey-Jungen nicht oft zusammen. Eigentlich waren sie keine Jungen mehr, sondern Männer mittleren Alters. Nach Gabriels Tod vor einigen Jahren hatte George den Hof übernommen. Doch für Stephen Pride waren und blieben sie die Furzey-Jungen. Die beiden waren Gabriel wie aus dem Gesicht geschnitten. George war zwar ein wenig größer, aber sie hatten denselben Wanst und waren – wie Stephen insgeheim dachte – genauso stur wie ihr Vater.
William Furzey hatte es in Ringwood nicht sonderlich weit gebracht. Zuerst hatte er für einen Bauern als Kuhhirte gearbeitet. Pride hatte immer gefunden, dass sich der weite Weg für eine solche Stelle eigentlich nicht lohnte – aber das mochte auch daran liegen, dass er ohnehin nicht viel von Leuten hielt, die beschlossen, den New Forest zu verlassen. Offenbar stattete William heute seinem Bruder George gerade einen Besuch ab, und nun standen sich die beiden wie zwei Kampfhähne gegenüber. Pride musste feststellen, dass sein eigener Sohn Anlass dieser Auseinandersetzung war.
Die Furzeys hatten sich nie damit abgefunden, dass sie das Recht auf Estovers verloren hatten. Bis heute weigerten sie sich, Alice Lisle auch nur zu grüßen, und bezeichneten sie als Diebin. Und um das Maß voll zu machen, war der Forstgehilfe Jim Pride vor einem Jahr von Boldrewood in den Südbezirk versetzt worden.
Stephen Pride hatte sich sehr über diese Versetzung gefreut. Denn von Boldrewood nach Oakley waren es über fünfzehn Kilometer gewesen. Nun konnte er seinen Sohn und seine Enkel täglich besuchen.
Für George Furzey hingegen bedeutete Jims ständige Anwesenheit etwas völlig anderes. Als Forstgehilfe war Jim für die Überwachung der Gewohnheitsrechte zuständig, zu denen auch Estovers gehörte. »Ich lasse mich nicht von Jim Pride herumkommandieren«, hatte Furzey seiner Familie verkündet. Er würde den Prides nicht erlauben, ihn zum Narren zu machen. Und um seinen Standpunkt zu untermauern, ging er jetzt noch öfter als früher zum Holzsammeln in den Wald.
Doch selbst dann hätte der Streit nicht in dieser Weise hochzukochen brauchen. In seinen fünfzehn Jahren als Forstgehilfe hatte Jim Pride einiges gelernt. Hätte Furzey in aller Stille Holz gesammelt, wenn er welches benötigte, hätte Pride kein Wort darüber verloren. Stattdessen hatte Furzey angefangen zu prahlen und vor zwei Tagen in einem kleinen Gasthaus von Brockenhurst lautstark verkündet: »Jim Pride kann mir den Buckel runterrutschen. Wenn ich Holz sammeln will, kann er mich nicht daran hindern.« Dann blickte er triumphierend in die Runde und fügte hinzu: »Ich hole mir auch Böttcherholz.« Er zwinkerte den Anwesenden zu. Estovers berechtigte nur zum Sammeln von Feuerholz. Böttcherholz hingegen wurde für die Herstellung von Fässern und Zäunen verwendet und war eigentlich nur gegen Bezahlung zu bekommen.
Diese dumme und überflüssige Herausforderung ließ Jim Pride keine Wahl. »Jetzt muss ich ihm das Handwerk legen«, sagte er zu seinem Vater.
Also war er am nächsten Morgen bei Furzey erschienen und hatte ihm die Lage so höflich wie möglich erklärt. »Es tut mir Leid, George, aber du hast Holz gesammelt, auf das du kein Recht hast. Du kennst die Regeln. Jetzt musst du Strafe
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