Der Wald der Könige
die Abtei St. Swithun’s, die Schatzkammer und die Residenz von Wilhelm zwischen einigen anderen prachtvollen Steingebäuden. Die restliche Stadt setzte sich aus einem Marktplatz, einigen Kaufmannshäusern, Gebäuden mit Gärten und Taubenschlägen und geschäftigen Straßen zusammen, in denen Handwerker und Händler ihrem Tagwerk nachgingen. Neben einem der Stadttore gab es ein Hospiz für die Armen. Von der Stadt aus hatte man eine malerische Aussicht. Die Luft war frisch.
Winchester hatte sich den Großteil seines altertümlichen Charakters bewahrt. Die Straßen trugen noch angelsächsische Namen: Gold Street, Tanners Street, bis hin zur germanisch klingenden Fleshmongers Street. Doch am Hof von Wessex hatte man immer Wert auf Bildung gelegt. Schon vor der normannischen Eroberung hatte es auf den Straßen von Priestern, Mönchen, königlichen Beamten, reichen Kaufleuten und vornehmen Herren gewimmelt, und in den Herrenhäusern von Winchester wurde nicht nur Angelsächsisch, sondern auch Latein oder sogar Französisch gesprochen.
Das Quartier, das Walter für Adela beschafft hatte, stellte verglichen mit dem Kaufmannshaus in Christchurch eindeutig eine Verbesserung dar. Adelas Gastgeberin war eine über fünfzigjährige Witwe, Tochter eines sächsischen Erbadeligen, die mit einem der normannischen Hüter der Schatzkammer von Winchester verheiratet gewesen war. Nun bewohnte sie ein hübsches Steinhaus unweit des westlichen Stadttores. Nach ihrer Ankunft hatte sich Walter stundenlang mit der Lady zurückgezogen. Und als er fort war, hatte sie Adela aufmunternd zugelächelt und gesagt: »Ich bin sicher, dass wir etwas für Euch tun können.«
Ganz sicher mangelte es ihr nicht an Gesellschaft. Als sie am ersten Tag durch die Straßen nach St. Swithun’s und über den Markt zurück spazierten, wurde ihre Gastgeberin ständig von Priestern, Höflingen und Kaufleuten gegrüßt. »Mein Gatte hatte viele Freunde, und sie erinnern sich seinetwegen an mich«, erklärte sie. Doch nachdem Adela zwei Tage lang ihre Freundlichkeit und ihren gesunden Menschenverstand hatte erleben dürfen, kam sie zu dem Schluss, dass die Witwe um ihrer selbst willen so beliebt war.
Auch Adelas gesellschaftliche Stellung war rasch geklärt.
»Das ist Walter Tyrrells Base aus der Normandie«, pflegte ihre Gastgeberin sie vorzustellen. Und Adela erkannte an den respektvollen Reaktionen, dass man sie für eine junge Adelige mit guten Verbindungen hielt. Schon einen Tag später traf eine Einladung des Abtes von St. Swithun’s ein, der die beiden Damen zu sich zum Essen bat.
Wenn sie unter vier Augen waren, versuchte die Witwe zwar, Adela aufzumuntern, doch sie schmierte ihrem Schützling keinen Honig um den Mund. »Ihr seid ein hübsches Mädchen. Jeder Adelige wäre stolz, Euch an seiner Seite zu haben. Doch was Eure mangelnde Mitgift angeht…«
»Ich bin nicht völlig mittellos.«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte ihre neue Freundin, allerdings mehr aus Freundlichkeit als aus Überzeugung. »Man soll nie etwas sagen, das nicht der Wahrheit entspricht«, fuhr sie fort. »Doch es gibt keinen Grund, die Menschen vor den Kopf zu stoßen. Also halte ich es für das Beste, wenn wir darüber schweigen.« Ihre Stimme erstarb, und sie blickte in die Ferne. »Wie dem auch sei«, fügte sie fröhlich hinzu. »Wenn Ihr Euch bei Eurem Vetter Walter beliebt macht, bekommt Ihr vielleicht etwas von ihm.«
Adela sah sie erstaunt an. »Meint Ihr… Geld?«
»Nun, er ist kein armer Mann. Und wenn er glaubt, dass Ihr ihm nützlich sein könntet…«
»Daran hatte ich noch gar nicht gedacht«, gestand Adela.
»Ach, mein liebes Kind.« Die Witwe brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen. »Von nun an müssen wir dafür sorgen, dass Euer Vetter sehr, sehr stolz auf Euch ist.«
Während ihre Gastgeberin versuchte, ihr Diplomatie beizubringen, erfuhr Adela von anderen Menschen in Winchester, was in der Welt vor sich ging. Sie hatte zwar gewusst, dass der König seine Differenzen mit der Kirche hatte, war aber dennoch entsetzt, als ihn ein hoher Kirchenmann bei einer Plauderei auf dem Kirchplatz beiläufig »diesen roten Teufel« nannte.
»Vergesst nicht, was Rufus getan hat«, erklärte die Witwe ihr später. »Zuerst hatte er einen fürchterlichen Streit mit dem Erzbischof von Canterbury. Der Erzbischof suchte daraufhin den Papst auf, und danach hat ihm Rufus die Einreise nach England verweigert. Dann starb hier in Winchester der Bischof, und
Weitere Kostenlose Bücher