Der Wald der Könige
Tante. Und als Francis nörgelte, er hoffe, Mr. West werde nicht ständig wie eine Fliege im Haus herumschwirren, erwiderte sie mit einem Lachen, der Herr habe gewiss noch anderes zu tun.
Allerdings blieb Mr. West nicht der einzige Besucher in Haus Albion. Es mochte am Zufall oder am Zuspruch eines Freundes wie Mr. Gilpin liegen, jedenfalls sorgte die Vielzahl der Gäste dafür, dass Fanny nicht vereinsamte. Einer der charmantesten Besucher war der Graf d’Hector, der einmal mit seiner Frau und einmal allein vorsprach.
Eines Nachmittags kam Nathaniel gerade aus Mr. Gilpins Schule, als er auf der Straße von einem Mann aufgehalten wurde. Obwohl Nathaniel ihn nicht kannte, schloss er aus seinem Aussehen, dass er zur Familie Puckle gehörte. Und als der Fremde ihn fragte, ob er sich nicht sechs Pence verdienen wollte, war er ganz Ohr.
»Ich war gerade in Haus Albion. Miss Albion hat mich gebeten, diesen Brief nach Lymington zu bringen. Ich wollte es ihr nicht ausschlagen, aber es wäre ein Umweg für mich. Er ist an einen Franzosen gerichtet, hat sie gesagt.«
»Das sehe ich selbst.« Schließlich konnte Nathaniel lesen, und Fanny hatte eine ordentliche Handschrift. Das Schreiben war an den Grafen adressiert. Sechs Pence waren nicht zu verachten. »Ich bringe ihn hin«, meinte Nathaniel. »Auf der Stelle.«
Die Sterne waren hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden, und der Himmel über dem Meer pechschwarz. Nur das leise Plätschern der Wellen am Strand, der in dieser mondlosen Novembernacht aber nur zu erahnen war, wies darauf hin, dass sich da draußen etwas bewegte. Ideales Schmuggelwetter.
Puckle stand auf einer kleinen Anhöhe an der Küste. Die Marschen vor ihm erstreckten sich bei Ebbe viele hundert Meter weit. Allerdings wurden sie von langen Seitenarmen durchzogen, welche die Einheimischen als Seen bezeichneten. Links von ihm, etwa einen halben Kilometer entfernt, befand sich ein kleiner Landeplatz der Schmuggler, der Pitts Deep hieß. Etwa genauso weit weg auf der anderen Seite lag Tanners Lane. Und dahinter begann der Park eines stattlichen Herrenhauses namens Pylewell. Jenseits davon lagen die Ländereien der Burrards; von dort aus waren es noch ungefähr drei Kilometer nach Lymington.
Es war still. Der Pächter des Gutes Pylewell stand schon seit längerem in Verdacht, einer der wichtigen Drahtzieher des Freihandels zu sein. Angeblich waren bei Pitts Deep Hunderte von Brandyfässern vergraben.
Puckle hielt eine Laterne in der Hand, die sehr seltsam aussah, denn sie hatte an Stelle eines Fensters eine lange Tülle. Wenn man diese aufs Meer richtete, konnte man Lichtzeichen senden, indem man die Hand davor hin und her bewegte. Nur die Schmuggler in ihren Schiffen auf dem Wasser erkannten dieses Signal. Inzwischen hatte die Flut begonnen.
Puckle hatte Grockleton den Plan erklärt, der eigentlich sehr einfach war. Wenn die Flut einsetzte, brachten die Schmuggler die Ware an den Strand und verschwanden wieder. Dann kamen die Freihändler von der Tanners Lane her, um das Schmuggelgut abzuholen – der Augenblick für Grockleton und seine Leute, um zuzuschlagen.
»In einer Stunde«, meinte Puckle bemüht ruhig zu dem Mann, der reglos neben ihm stand. Grockleton nickte wortlos.
Er hatte seinen Feldzug sorgfältig geplant, und bis jetzt war alles reibungslos verlaufen. Der Brief von Fanny Albion war ein ausgezeichneter Einfall gewesen. Er hatte einen Umschlag benutzt, den sie vor einiger Zeit an seine Frau geschickt hatte, und ein kurzes Schreiben verfasst. Falls der Brief in die falschen Hände fiel, würden darin nur der Dank für ein geliehenes Buch und Grüße von ihrem Vater und Adelaide zu lesen sein. Den Brief hatte er Puckle übergeben, der wiederum Nathaniel damit beauftragt hatte, ihn dem Grafen zu bringen. Dieser hatte Anweisungen, Grockleton unverzüglich Mitteilung davon zu machen, dass eine große Schmuggellieferung unterwegs sei. Für diesen Fall waren Grockleton und Puckle wieder am Rufusfelsen verabredet.
Die militärische Seite hatte Grockleton sogar noch sorgfältiger vorbereitet. Er hatte niemandem reinen Wein eingeschenkt, denn weder seine Frau noch seine eigenen Soldaten durften wissen, was gespielt wurde. Der Oberst hatte sechzig seiner besten Leute nach Buckland verlegen lassen. Bei Dämmerung hatte er sie zusammengerufen und sich in Begleitung von zwanzig weiteren Reitern aus Buckland unbemerkt auf den Weg gemacht. Dann hatte er seine Truppe in kleine Einheiten
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