Der Wald des Vergessens
sprechen …«, und hatte ihnen von seinem Abenteuer mit den Aktenschränken erzählt.
Und nun begann Wield, jene Gabe einzusetzen, die Gott an einige Menschen mit wahrer Großzügigkeit verteilt hat, weil er selbst, wie ein Blinder vor einem Puzzlespiel, nur sehr beschränkten Bedarf daran hat – die Gabe, aus Chaos Ordnung zu schaffen.
Zuerst stellte er fest, in welche Schränke die nagewütigen Ratten nicht eingedrungen waren. Mit einem schwarzen Filzschreiber machte er dann ein Kreuz auf jene, bei denen er bei aller Geschicklichkeit nichts mehr ausrichten konnte.
Als nächstes unterteilte er die anderen in zwei Hauptkategorien, Krankenblätter und Verwaltungskorrespondenz, und kennzeichnete die Schränke entsprechend. Und schließlich stellte er fest, von wann bis wann jeder Satz Akten reichte, und schrieb das Datum ebenfalls außen auf die Seite des jeweiligen Schranks. Mit vielen Lücken reichten sie von 1915 bis 1946.
Pascoe war mit mehr Glück als Verstand – ein Geschenk, das Gott zum Ausgleich manchmal jenen macht, die mehr Maria denn Martha nachschlagen – über die annähernd ältesten gestolpert. Die Neuigkeit, wem Wanwood ursprünglich gehört hatte, war zwar interessant, Wield sah jedoch weder einen Zusammenhang mit ihren Ermittlungen, noch hatte er eine Ahnung, wonach er da unten eigentlich suchte. Doch als Team waren sie drei, er, der Dicke und Peter, längst übereingekommen, sich auf die speziellen, merkwürdigen Talente der anderen zu verlassen, so daß jeder jedem ein ganzes Stück weit brav folgte, bevor er schrie: »Jetzt reicht es mir aber!«
Die Schränke der Jahre 1915–19 waren am leichtesten zugänglich, was wohl daran lag, vermutete Wield, daß sie nach dem Krieg, als sich die Krankenhausverwaltung auf eine Zeit des Friedens und Profits freute, die ersten waren, die im Keller gelandet waren. Wer immer sie hinuntergeschleppt hatte, sah keine Veranlassung, sie weiter nach hinten zu tragen als unbedingt nötig, und hatte sie deshalb gleich am Eingang stehenlassen.
Nach 1946 hatte man zu anderen Archivierungsmethoden gegriffen, was mit der Einführung des Nationalen Gesundheitsdienstes zusammenhängen mochte.
Wield las einige der ersten Verwaltungsakten durch und warf einen Blick auf die Krankenberichte. Wenn die Knochen überhaupt etwas mit dem Krankenhaus zu tun hatten und wenn diese Akten einen Hinweis darauf enthielten, konnte er nach zwei Methoden vorgehen. Die eine war die Wield-Methode. Das bedeutete, er las alles und machte sich Notizen, in der Hoffnung, daß aus einem sorgfältigen Vergleich der Fakten eine nützliche Information auftauchen würde. Die andere war die Glückspilz-Methode Pascoes. Man steckte den Daumen irgendwo in den Kuchen und hoffte, eine hübsch saftige Pflaume herauszuziehen.
Er schloß die Augen, öffnete eine Schublade, griff hinein und packte eine Akte.
»Leck mich doch am Arsch«, sagte er. »Aber bitte nicht kitzeln.«
Ein guter Polizist weiß, daß Zufälle, auch wenn sie immer verdächtig sind, nicht unweigerlich von Bedeutung sind.
Die Akte, die er in der Hand hatte, gehörte dem Oberleutnant Herbert Grindal von den West Yorkshire Fusiliers.
Und was hatte das nun zu bedeuten? fragte sich Wield.
Schlicht, daß Arthur Grindal, der sein Haus so großzügig zur Verfügung gestellt hatte, auch einen Sohn (oder vielleicht einen Neffen?) zur Verteidigung des Vaterlandes zur Verfügung gestellt hatte, und daß derselbe, als er verwundet wurde, in Wanwood Hospital landete. Daran war nichts Überraschendes oder Finsteres. Auch nichts besonders Ironisches, wenn man an die Verwundetenzahlen bei jenen Massenschlachtereien dachte. Und was die Tragik anlangte, er blätterte durch die Akte und las, daß Grindal im September 1917 verwundet, mit einem gebrochenen Arm und an Neurasthenie leidend eingeliefert und im darauffolgenden Januar von einer Ärztekommission für diensttauglich erklärt wurde. Also ein glückliches Ende, immer vorausgesetzt, er hatte den Krieg überlebt.
Wield legte die Akte wieder in ihre Schublade und sah auf die Uhr. Das reichte. Er würde Pascoe sagen, was genau er getan und gefunden hatte, und hoffen, daß er ihm ein bißchen präzisere Angaben machen würde, wenn er ihn noch einmal hierherschickte.
Er litt nicht an Klaustrophobie, dennoch war er erleichtert, den Keller hinter sich lassen zu können und wieder am Tageslicht zu sein. Nicht, daß davon noch viel zu sehen gewesen wäre an diesem Novembernachmittag, und nur ein
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