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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Meinung nach war sie sogar bis zum Exzeß kooperativ. Sie hat sich nicht beklagt, als sie über Nacht in Gewahrsam gehalten wurde, hat nicht damit gedroht, gegen die unberechtigte Freiheitsberaubung vorgehen zu wollen, hat sich geweigert, daß ihre schlechte Behandlung in die Medien kommt, hat alle Ihre Fragen ruhig beantwortet und mit Zurückhaltung und Würde alle Schmach ertragen, mit der sie überhäuft wurde. Aber was reicht, das reicht –«
    »Dagegen läßt sich nichts einwenden«, unterbrach ihn Pascoe. »Sie haben, ehrlich gesagt, noch nie ein wahreres Wort gesprochen. Was reicht, das reicht, unbestreitbar. Aber in meiner Eigenschaft als für den Fall zuständiger Beamter würde ich es für eine Pflichtversäumnis halten, wenn ich Ms Marvell entlassen würde, ohne mich persönlich zu überzeugen, daß genau nach Vorschrift verfahren wurde.«
    »Wie bitte?« sagte Harris, hellwach. »Sie sind für den Fall zuständig, Peter? Ich dachte Mr. Dalziel …«
    »Ist sofort wegen persönlicher Befangenheit zurückgetreten«, sagte Pascoe. »Aber da er und Ms Marvell gesellschaftlich miteinander verkehren, dachte ich, daß es für Ihre Mandantin eine geringere Belastung bedeuten würde, wenn sie zuerst mit ihm spricht, natürlich unter meiner Federführung. Ich hoffe, Ms Marvell hat an dieser Vorgehensweise nichts auszusetzen?«
    »Nun, nein«, sagte Harris, der seine Beschwerde über Dalziels Befangenheit, wie sich Pascoe schon gedacht hatte, als letzten Trumpf hatte aus der Tasche ziehen wollen. Daß er über die Beziehung zwischen den beiden Bescheid wußte, dessen war sich Pascoe sicher. Nach dem, was Ellie erzählt hatte, waren zu viele von Mid-Yorkshires Spitzen der Gesellschaft auf der Universitätsparty gewesen, als daß Cap Marvells Begleiter die kollektive Phantasie nicht ins Taumeln versetzt hätte.
    »Gut. Dann lassen Sie uns die Dame hereinbitten, ja?«
    Er hatte sie aus der Ferne gesehen, aber noch nicht mit ihr gesprochen. Aus der Nähe stellte er fest, daß ihre eher groben Züge, nach der in der Zelle verbrachten Nacht von Make-up unberührt, seine Erwartung, wie Dalziel von ihr angezogen zu sein, enttäuschten. Zugegeben, ihre Oberweite war nicht zu verachten, wenn die eigenen persönlichen Vorlieben sich in diese Richtung verirrten, aber ihn machte sie nicht an.
    »Es tut mir leid, wenn ich Sie enttäusche«, sagte sie. »Aber wenigstens kann man keinem von uns beiden vorwerfen, daß wir damit hinter dem Berg gehalten haben, oder?«
    Er spürte, wie er rot wurde. Es war, als hätte sie seine erbärmlichen Machogedanken gehört. Mit Sicherheit hatte sie seine Reaktion auf ihren Anblick seinem Gesicht entnommen.
    »Das hoffe ich nicht«, schaffte er zu sagen, als er sich erholt hatte. »Eigentlich würde ich gern, um absolut sicher zu sein, noch einmal ein, zwei Dinge mit Ihnen besprechen.«
    Als sie ihn mit großen Augen fest anblickte, fühlte er sich an jemanden erinnert. Miss Martindale, das war’s. Sonst waren sie sich nicht ähnlich, weder nach Alter, Figur oder Teint noch Haarfarbe. Man hatte nur dasselbe Gefühl, in der Gegenwart eines Menschen zu sein, dessen Handlungen auf felsenfesten Überzeugungen beruhten. Würde Miss Martindale einen Menschen beseitigen, der ihr im Weg stand, wenn es die Pflicht gegenüber ihren Schülern erforderte? Metaphorisch ohne jeden Zweifel. Buchstäblich? Wenn die Kinder in Käfige eingesperrt würden und man mit ihnen Versuche anstellte, ja, wahrscheinlich. Aber der Vergleich hinkte. Kinder und Tiere waren nicht dasselbe. Wie Rosie würde er zwar versucht sein, einen Mann, der einen Hund schlug, mit Steinen zu bewerfen, aber es müßte jemand Rosie schlagen, bevor er ihn umbringen würde.
    »Sie haben einen Sohn, Ms Marvell?« sagte er.
    »Ja.«
    »Ich sehe nicht, was die Familie meiner Mandantin mit dem Fall zu tun hat«, sagte Harris.
    »In der Tat? Aber Sie müssen doch wissen, daß Oberst Pitt-Evenlode für einen der Tage, an denen wir interessiert sind, Ms Marvells Alibi ist? Sie haben doch sicher nichts dagegen, wenn ich auf Zeugen eingehe?«
    »Nein, natürlich nicht …«
    Es macht Spaß, Bomber zu bombardieren, dachte Pascoe.
    »Ihr Sohn bestätigt Ihr Abendessen mit ihm am fraglichen Abend. Sie waren beide nicht in der Lage, sehr genaue Angaben zu machen, wann Sie fertig waren. Zum Glück zeichnet das Kreditkartensystem des Restaurants die Transaktionszeiten auf, neben allen anderen Einzelheiten. Und ein noch größeres Glück ist es, daß man

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