Der Wald des Vergessens
kriegen, über seine Verteidigung zu sprechen.
Er scheint nicht zu verstehen, in welcher Gefahr er ist. Er gibt freimütig zu, Grindal einen Schlag versetzt zu haben, aber das habe er nur gemacht, damit der sich nicht selbst schade, indem er weitermarschiere, benommen wie er war. Und dann beschreibt er, wie er den Rest seines Zugs zum Ausgangspunkt zurückgeführt hat, als ob es das Vernünftigste auf der Welt gewesen sei. Er scheint nichts weiter zu bedauern, als zu einem Stabsoffizier unverschämt gewesen zu sein, und der Grund dafür ist, daß er meint, es mache keinen Sinn, in Harnisch zu geraten über tumbe Toren, womit er sich beim Gericht wohl kaum Freunde machen wird. Obwohl, wenn ich es mir überlege, das Gericht besteht nur aus Frontoffizieren, es könnte also durchaus sein, daß sie ihm in diesem Punkt folgen!
«
Der Major gestattete sich ein Lächeln, als er das las, und Pascoe sagte: »Wie tröstlich, daß Ihr Vater im Angesicht des Unglücks anderer seinen Humor nicht verloren hat.«
»Peter, ich bitte dich!« sagte Ellie.
»Nein, mein Fehler. Es tut mir leid, Mr. Pascoe. Das muß alles sehr schmerzlich für Sie sein. Es kommt nur noch wenig. Er schreibt noch, daß sich Feldwebel Pascoe eindeutig darauf verläßt, daß die Aussage Oberleutnant Grindals und der anderen seines Zugs zu seinen Gunsten ausfällt und es zum Freispruch kommt, oder zumindest, daß sich seine Bestrafung nur auf einen Verlust seiner Streifen beläuft. Er bedauert, daß seine Bemühungen, Zeugen, insbesondere den Soldaten Doyle, ins Kreuzverhör zu nehmen, nicht das gewünschte Ergebnis bringen und vom Vorsitzenden abgebrochen werden. Er versucht, gegen die Zulassung von Grindals schriftlicher Aussage Widerspruch einzulegen, weil dadurch keine Gelegenheit zu einem Kreuzverhör gegeben sei, man informiert ihn aber, Taktiken aus Chancery Lane seien hier völlig fehl am Platz …«
»In den Prozeßakten steht davon kein Wort!« protestierte Pascoe.
Das Auge des Majors leuchtete interessiert auf.
»Sie haben sie eingesehen, ja?« fragte er.
Ellie zeigte ihrem Mann die Zähne und sagte fest zu Studholme: »Nein, er hat sie nicht eingesehen. Aber wir haben von einer einflußreichen Freundin eine inoffizielle Zusammenfassung erhalten, unter der Bedingung absoluter Vertraulichkeit.«
»Meine Lippen sind versiegelt«, sagte Studholme. »Ich weiß, wie diese Dinge ablaufen. Mr. Pascoe, ich verstehe Ihre Gefühle über die Ineffizienz meines Vaters. Ich langweile Sie nicht mit Details, aber bitte glauben Sie mir, das Schicksal Ihres Urgroßvaters quälte ihn sehr, und obwohl sein Verstand ihm sagte, daß er nichts tun konnte, um es abzuwenden, fühlte er sich schuldig und hat sich bis ans Ende seiner Tage schuldig gefühlt, daß er daran teilhatte.«
Pascoe weigerte sich, Ellie anzusehen, und sagte nichts.
Seufzend sprach Studholme weiter: »Sie werden mit Erleichterung vernehmen, daß mein Vater mit der Hinrichtung an sich nichts zu tun hatte, deshalb bleibt mir die makabre Aufgabe erspart, Ihnen eine Beschreibung vorzulesen. Er hat Feldwebel Pascoe jedoch am Tag vor der Hinrichtung gesehen, als er es auf sich genommen hatte, ihm die Nachricht zu überbringen, daß keine Hoffnung auf Gnade bestehe und das Urteil am folgenden Morgen vollstreckt würde.«
Er legte den Band hin, um einen Schluck Whisky zu trinken, dann nahm er das Buch wieder auf und las weiter.
Der Feldwebel gab mir einen Brief an seine Frau, den ich in die Post tun soll. Ich sagte, daß ich das tun würde. Dann holte er nach einem kurzen Zögern ein Heft hervor, das aus mehreren Bögen bestand, die er grob zwischen zwei Deckeln aus einem alten Gummizeltboden zusammengeheftet hatte. Das, sagte er, sei ein Tagebuch, das er geführt habe. Er habe noch eines gehabt, vom Anfang des Kriegs, das habe er bei seinem letzten Heimaturlaub zu Hause gelassen, weil er dachte, er könne es entweder dazu verwenden, später im Leben diese Jahre in sein Gedächtnis zurückzurufen, oder wenn er fiele, könnte es ein Bericht für seine Familie sein. Doch er sei sich nicht sicher, ob er darum bitten solle, diese letzten Blätter auch nach Hause zu schicken, wegen der tragischen Dinge, die darin aufgezeichnet seien. Er fragte mich, ob ich sie an mich nehmen würde, sie lesen, wenn ich Zeit hätte, und sie dann an seine Frau weiterleiten würde, oder nicht, nach meinem Gutdünken. Ich hätte diese Aufgabe lieber nicht übernommen, aber wie hätte ich sie verweigern können. Dann
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