Der Wald des Vergessens
Schwan, dachte er.
»Das Gezucke auf deinen Lippen, soll das ein Grinsen werden oder hast du einen Anfall?« fragte Dalziel.
»Verzeihung, Sir. Es ist eine Frage der Prioritäten, würde ich sagen. Sie hatten recht, die Sache mit der Witwe nicht weiterzuverfolgen, wenn Sie das Gefühl hatten, Sie müßten sie einbuchten, wenn etwas schiefging.«
»Und wie hätte die Alternative ausgesehen?« wollte Dalziel wissen.
»Ihr beim Kofferpacken helfen und zwei Tickets nach Rio zu kaufen?« schlug Wield vor. »Und, nein, Sir, ich will kein Bier mehr, Sir. Es ist Zeit, daß ich nach Hause gehe.«
Da er wußte, was für ein Experte Dalziel auf dem Gebiet der Verzögerungstaktiken war, hatte er sich schon beim Sprechen erhoben und auf den Weg zur Tür gemacht. Doch bevor er sie erreicht hatte, packte ihn eine Hand am Ärmel, und als er zur Seite blickte, sah er seine Kollegin Shirley Novello.
»Darf ich Sie zu einem Drink einladen, Sir?«
»Ein anderes Mal, danke«, erwiderte er. »Ich bin ein bißchen spät dran.«
Sie ließ seinen Ärmel los, blieb aber neben ihm stehen und sah ihn an.
Da ist etwas, worüber sie reden will, es ist aber nicht wichtig genug, daß sie es einfach ausspricht. Deshalb ist es auch nicht wichtig genug, um mich bei Edwin noch tiefer in die Scheiße zu reiten.
Er machte eine Kopfbewegung zum Tisch hinüber, an dem Dalziel saß, anscheinend in tiefe Meditation über den Knopf seines Hemds versunken, das sich über seinem Nabel spannte.
»Aber der Boss ist in Trinklaune«, sagte er.
Ihr Blick glitt hinüber zu der monumentalen Gestalt, dann wieder zurück.
»Dafür hab ich meinerseits noch nicht genug getrunken«, sagte sie. »Guten Abend, Sergeant.«
Wield fühlte sich gleichzeitig wie ein Schwein und wie ein Held, daß er seinen Job an die zweite Stelle gerückt hatte, und ging hinaus in die Nacht.
Etwas weiter im Westen, in Leeds, bekam auch Peter Pascoe einen Drink angeboten.
Er schüttelte den Kopf, aber Ellie sagte: »Ja, bitte. So wie er ist«, und Hilary Studholme lächelte sie fast dankbar an, als er ihr das Glas so voll goß, daß ein gewisser Kommissar damit zufrieden gewesen wäre.
Er hatte kein Erstaunen geäußert, als er die Tür geöffnet und die Pascoes erblickt hatte. Im Supermarkt war verkaufsoffener Abend, und durch die Automatiktüren, die bei dem ständigen Strom an Einkaufenden fast dauernd offenstanden, rieselte dünn Discomusik, die hier und da von einer sonoren Stimme unterbrochen wurde, welche die Käufer drängte, sich unter keinen Umständen die Schnäppchen an der Delikatessentheke entgehen zu lassen. Von hoch oben flutete gleißendes Licht herab, um das Gebäude herum und im Inneren war alles hell erleuchtet, und durch das außerirdische Strahlen der Flutlichtlampen um den Parkplatz waberten die Niemandslandnebel des Novembers, gemischt mit tödlichen Auspuffgasen.
»Erstaunlich«, hauchte Ellie, als sie den Gegensatz zwischen der Welt greller Betriebsamkeit und dem schmalen, hohen viktorianischen Museum in sich aufnahm. Und als sie das Innere betrat und die schwere Tür die neunziger Jahre wie ein Kerzenlöscher erstickte, sagte sie noch einmal: »Erstaunlich.«
Sie wäre gern ein wenig in dem Museum verweilt, aber sie waren Peters wegen hergekommen, und so hatte sie die beiden Männer schweigend die steilen Treppen zur winzigen Wohnung des Majors hinaufbegleitet. Wenigstens unterblieb das forensische Fechten, da Studholme mit militärischer Direktheit zur Sache kam.
»Sie sind auf meinen Vater gestoßen«, sagte er, während er sich einen Whisky einschenkte. »Ich wußte nicht, ob ich es Ihnen sagen sollte oder nicht. Ich war schon fast so weit, da habe ich gedacht, wenn er wirklich entschlossen ist, die Vergangenheit auszugraben, wird er es selbst herausfinden und sich wieder bei mir melden.«
»Alle scheinen mir kleine Prüfungen aufzugeben«, sagte Pascoe. »Wenn ich sie bestehe, darf ich ein paar Kästchen weiterhüpfen. Ich vermute, Sie wissen davon aus Ihres Vaters Kriegstagebuch?«
»Ja. Deshalb war mir Pascoe auch bekannt vorgekommen. Dann haben Sie gesagt, es könne nicht Pascoe gewesen sein. Ich fand das alte Foto, und es sah Ihnen so ähnlich, daß ich mich einfach selbst überzeugen mußte.«
»Aber das ist noch nicht alles, stimmt’s? Nicht nur der Name. Das hätte nicht gereicht, Sie so aufzuwühlen. Da muß noch etwas anderes sein.«
Der Major warf Ellie einen kurzen Blick zu und lächelte.
»Mit einem Mann verheiratet zu sein,
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