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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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in der Lage, mit ein wenig Hilfe stolpernd weiterzugehen. Ich bringe ihn zum Verbandsplatz, sitze dort eine Weile, um Puste zu holen. Dann gebe ich einem Stabsoffizier eine blöde Antwort. Das war dumm. Stabsoffiziere haben empfindliche Seelen. Steckt mich wegen Befehlsverweigerung in Arrest. Der Idiot merkt nicht, was für einen Gefallen er mir damit tut. Vielleicht hätte ich ja schon viel früher ungehorsam sein sollen!
    Nicht komisch. Versuche zu lächeln und glücklich zu sein, aber ich muß an meine Kameraden denken. All die Jungs, mit denen ich zusammengelebt habe und auf die ich hätte aufpassen sollen, die nun da draußen liegen, tot und sterbend, zerschmettert und blutend. Dort sollte ich sein, nicht hier, gemütlich und sicher. Da draußen, in Polygon Wood.
«
    Pascoe hörte auf zu lesen, und Ellie sagte: »Hat er wirklich geglaubt, daß er in Sicherheit war?«
    »Warum fragst du?«
    »Einfach wegen der Art, wie er die Dinge beschreibt, die schwarze Hoffnungslosigkeit der Sache. Er versucht, es auf Grindal zu schieben – mißversteh mich bitte nicht, ich glaube jedes Wort, das er über Grindal sagt –, aber es sind seine eigenen Gefühle, die er beschreibt, nicht?«
    »O ja«, sagte Pascoe leidenschaftlich. »Kein Zweifel. Absolut kein Zweifel.«
    Ellie sah ihn verdutzt an und fuhr fort: »Und indem er Gertie hilft, was er ganz gewiß getan hat, hilft er sich auch selbst. Die ganze Zeit habe ich das Gefühl, als würde er sich Gerties bedienen, um seine eigenen Ängste irgendwie zu externalisieren, und zu guter Letzt versucht er sich einzureden, daß die Tatsache, daß er Gertie in Sicherheit gebracht hat, seine eigene Sicherheit garantiert. Er muß doch gewußt haben, daß man mitten in einer Schlacht nicht wegen schlichten Ungehorsams eingesperrt wird.«
    »Du bist ganz schön scharfsinnig, was?« sagte Pascoe. »Du liegst total richtig. Er weiß das. Er will aber nicht, daß er es weiß. Er gleicht mir so sehr, Ellie. Ich erkenne mich die ganze Zeit in ihm wieder, all seine Befürchtungen und sein Versagen, all seine kleinen Tricks, um durchzukommen. Er ist mir so ähnlich.«
    »Da gibt’s einen großen Unterschied«, sagte Ellie und stellte sich hinter seinen Stuhl und legte ihm die Arme um die Schultern. »Du lebst. Aber die Katze entweicht später aus dem Sack, nicht wahr?«
    »O ja. Beim Prozeß. Zuerst vertraut er, wie Studholme sagte, auf die Aussage Gerties. Er schreibt:
Gertie ist nicht dumm, und er ist eigentlich ein anständiger Mensch. Ein wenig Ruhe, und er ist schon bald wieder er selbst. Und dann kommt er dahinter, was sich abgespielt hat. Er weiß, daß er nicht Gefahr läuft, angeklagt zu werden, denn wer außer mir könnte gegen ihn aussagen? Und was ich sage, weiß er, da der Hauptmann ihm geschrieben hat, und er wird antworten, daß ich genau richtig liege. Also mache ich mir keine Sorgen.«
    »Denkste«, sagte Ellie.
    »Das kann man wohl sagen«, pflichtete ihr Pascoe bei. »Nachdem er Gerties Brief gehört hat, der vorgelesen wurde, und ihm aufgeht, was das für ihn bedeutet, ist da offensichtlich eine Lücke, während der er nichts in sein Tagebuch schreibt. Nach der Verurteilung faßt er zusammen:
Vielleicht hätte ich mich zusammenreißen sollen, aber es macht keinen Unterschied. Sie bringen mich um, was immer ich sage, und da können sie ruhig hören, was ich in Wahrheit denke. Allerdings nicht die ganze Wahrheit. Ich sage ihnen nicht, daß Gertie zusammengebrochen ist und auf der Flucht war, denn das würden sie mir nicht glauben. Außer vielleicht der Adjutant. Und der ist boshaft genug, um es herumzutratschen, und würde uns somit beiden eins auswischen, auf verschiedene Weise. Aber selbst das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Denn obwohl ich ihnen die wahren Fakten der Angelegenheit vorenthalten habe, bin ich dennoch schuldig im Sinn der Anklage. Gerties Angst war meine Angst, und als ich ihn am Davonlaufen hinderte, habe ich ihn auch benutzt, um selbst davonzulaufen. Ich habe zu jenem Stabsoffizier gesagt, daß ich an die Front zurückkehren würde, sobald ich meine Zigarette zu Ende geraucht hätte. Aber hätte ich das wirklich gemacht? Und war meine Gehorsamsverweigerung nicht vielleicht ein absichtlicher Versuch, ihn gegen mich aufzubringen, damit er mich festnimmt? Wenn es also rechtens ist, Feiglinge zu erschießen, dann haben sie recht, zu denken, daß sie das Recht haben, mich zu erschießen. Aber ich weiß, daß ich kein Feigling bin, und auch Gertie ist

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