Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
unten, nackte Haut … Gänsehaut auf der Brust. Ein schmutziges T-Shirt flog wie ein weißes Segel übers Meer. Weiche Haut, glatt und salzig.
»Was macht Nyoko eigentlich gerade?«
Thorvald öffnete die Augen. »Was?«
»Ich habe dich gefragt, was Nyoko gerade macht«, wiederholte Olga ihre Frage kühl.
Thorvald seufzte schwer und fiel auf den Rücken. Erschüttelte langsam den Kopf. »Sonst hast du keine Sorgen, was?«
Er drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf in die Hand. »Sag mal, was ist los mit dir? Was hast du denn? Liebst du mich nicht mehr?« Er strich ihr die Haare hinter das Ohr. Dann ließ er sich auf den Rücken fallen. »Sie ist in Moskau. Bei ihrer Freundin. Zufrieden?« Er richtete sich auf. »Es gibt Ärger.«
»Ach?« Mehr brachte Olga nicht heraus.
Olga blinzelte und schaute aufs Meer, das wie ein riesiges, mit Pailletten besetztes Tuch funkelte.
»Eine Japanerin, die in Dänemark lebt, und eine Norwegerin mit Wohnsitz in Russland wollen in Deutschland auf einem Leuchtturm heiraten!« Thorvald lachte bitter und schaute sie vorwurfsvoll an, als wäre das Olgas Idee gewesen.
Olgas Kopf drehte sich von ganz alleine zu Thorvald. Das war zu viel.
»Du und Nyoko … ihr beide seid gar nicht …« Olga stand auf. Es verging eine Ewigkeit und irgendwann hörte sie, dass Thorvald zu lachen begann.
»Wie war das noch mit dem ›miteinander reden‹? Eine Frage, ein Wort und alles ist geklärt?« Er sprang auf und gab ihr einen Klaps auf den Hinterkopf. Olga fuhr herum und wollte zurückschlagen, doch er ergriff ihr Handgelenk und drehte ihren Arm auf den Rücken. Olga schrie auf.
»Thor … hör auf! Du, du …« Sie versuchte zu treten, doch Thorvald sprang zur Seite.
Thorvald ließ Olga los, fuhr sich durch die Haare und breitete die Arme aus.
»Ach, Olga, dich hab ich geliebt …«
»Du frierst ja.« Thorvald zog die Decke fester um Olga. »Komm, lass uns gehen. Es ist so windig geworden.«
Sie lagen eng umschlungen unter der Decke, und es fiel beiden unendlich schwer, sich voneinander zu lösen.
»Jetzt hast du auch kein T-Shirt mehr«, lachte Olga. »Meine Sachen sind bestimmt wieder trocken, dann kannst du Romans anziehen.«
Sie standen auf dem Felsvorsprung, hatten die Decke über sich gelegt und schauten auf das Meer.
»Kannst du dich noch an die ›Augsburger Puppenkiste‹ erinnern?«, fragte Thorvald nach einer Weile. »Wie die das Wasser mit der dünnen Baumarktplastikfolie gemacht haben?« Er machte mit der Hand eine Wellenbewegung und pustete.
»Du bist immer so romantisch!«, seufzte Olga. »Gab es damals überhaupt schon Baumärkte?«
Olgas Sachen waren auf dem Autodach getrocknet. Eigentlich hatten sie vorgehabt, sich in der nahen Stadt neu einzukleiden. Doch als kurz vor Oldenburg das Schild »Puttgarden« auftauchte, sahen sie einander nur kurz an, schüttelten die Köpfe, und Thorvald gab in dem Kreisverkehr so viel Gas, dass die Reifen quietschten. Dann schoss der Volvo auf die Autobahnauffahrt hinab, Richtung Norden, nach Hause.
Olga versuchte herauszufinden, was sie jetzt am nötigsten brauchte. Eigentlich war alles gleich katastrophal. Ihr Outfit, die Müdigkeit, der Hunger. Nachdem sie sich einen Kaffee gekauft hatte, spazierte sie langsam über Deck. Die vielen Touristen, die an ihr vorbeigingen, nahm sie gar nicht richtig wahr. Benommen stieg sie die Treppen hinauf, um auf das Sonnendeck zu gelangen.
Der Kaffee auf leeren Magen bekam ihr überhaupt nicht, sie ließ ihn auf einem der Tische stehen. Mit den Ellenbogen auf die Reling gestützt, betrachtete sie das Meer. Das Schiff hatte bereits abgelegt und ein lauer leichter Wind wehte durch ihre Haare. Sie schloss die Augen. Es roch nach Algen und Schiffsdiesel.
Sie waren geflohen, in Eile, hatten ein Chaos zurückgelassen, dessen Dimensionen sie noch nicht richtig überschauen konnte. Wie nach einem bösen Traum entzogen sich die Geschehnisse immer wieder ihrem Gedächtnis.
Olga wusste nur, dass es die Gemeinschaft, die bis vor einer Woche im Wald zusammengelebt hatte, nicht mehr gab. Jeder Einzelne war von den Ereignissen betroffen und musste Konsequenzen ziehen.
Eine Möwe stand vor Olga in der Luft, um nach etwas Essbarem Ausschau zu halten. Es sah so aus, als würde der Vogel wie ein Mobile an einem durchsichtigen Faden hängen. Eine Frau hielt ein Stückchen Weißbrot in die Luft und der Vogel schnappte gelassen und routiniert danach.
Als sie sah, dass die
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