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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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überwunden hatte. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und schlug außer sich vor Zorn aufs Wasser.
    »Jetzt bist du wenigstens sauber«, lachte Thorvald und ließ sich wieder ins Wasser fallen. »Komm! Lass uns ein bisschen schwimmen.«
    Olga gab sich geschlagen und ließ sich in dem kühlen Wasser treiben. Eigentlich war jetzt alles egal. Sie streckte die Arme aus und ließ sich von den Wellen sacht auf und ab tragen. Ihre Haare lösten sich und wiegten sich in der Strömung. Grünbrauner Seetang schwamm auf der Wasseroberfläche, und sie musste die Augen zusammenkneifen, weil die Sonne blendete. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel. Thorvald beugte sich über sie.
    »Einer Leiche ausgesprochen unähnlich treibt Ophelia durch den Wassergarten!«, flüsterte er, dann küsste er sanft ihre Lippen. Nur ein Windhauch.
    »Aber ich lebe!«, murmelte Olga.
    Er küsste sie wieder. Olga spürte seine Hände, die über ihre Wangen strichen.
    »Ich auch!« Er fuhr mit seinen Lippen ihren Hals entlang. »Und wie!«
    Der Kuss war lang, heiß und salzig. Obwohl Olga im Wasser lag, durchströmte sie eine Hitzewelle. Es war jetzt wirklich alles egal. Sie waren hier. Der Wald und alles, was geschehen war, schienen weit, weit weg. Und Thorvald? Er war wie immer. Das war ja das Schlimme.
    Die klatschende Ohrfeige traf ihn so unvorbereitet, dass er den Halt verlor und rückwärts ins Wasser fiel. Olga versuchte unbeholfen, aus dem Wasser zu gelangen. Als sie endlich festen Boden unter den Füßen hatte, drehte sie sich um. Thorvald schwamm grinsend hin und her.
    »Ich krieg dich noch   … wart‘s nur ab!«
    Olga beachtete ihn nicht und zog sich aus. Ihre nassen Sachen legte sie auf einen großen Stein in der Sonne.
    Als Thorvald sich endlich aus dem steinigen Wasser bis zum Strand vorgearbeitet hatte, saß Olga in nassem Slip und BH auf einem großen Stein und streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen. Thorvald trocknete sich mit seinem verdreckten T-Shirt ab. »Roman hat seine Joggingsachen im Kofferraum. Ich hole sie dir.«
    Sie richtete sich auf und rieb den Sand von ihrem Körper. Erst jetzt spürte sie, was für einen riesigen Hunger sie hatte. Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal gegessen hatte.
    Als sie Romans Jogginghose und seine Trainingsjacke übergestreift hatte, verspürte sie Sehnsucht nach ihrem Vater. Sein Geruch, der noch in den Kleidern hing, erfüllte sie mit Trauer und Unsicherheit. Sie schaute aufs Meer. Plötzlich erschien ihr alles, was in der letzten Woche geschehen war, in eine ferne, unerreichbare Vergangenheit gerückt. Es war zu einer Geschichte geworden, die ihr jemand erzählt oder die sie gelesen hatte.
    Thorvald stand vor ihr, bückte sich leicht und sah ihr in die Augen. »Alles in Ordnung?«
    Dann zeigte er auf ein kleines Waldstück, das oberhalb der Steilküste lag, die sich westwärts an der Bucht entlangzog.
    »Bevor wir weiterfahren, möchte ich einmal da hinauf. Einverstanden?«
    Olga nickte. Er legte seinen Arm um ihre Schultern und gemeinsam verließen sie den Strand, der sich langsam mit Badegästen gefüllt hatte. Als sie den Weg durch den Wald gingen, schaute Olga in die Baumwipfel der Buchen. Der Himmel war so blau, wie sie es in ihrem Waldtrotz des heißen, sonnigen Wetters nicht gesehen hatte. Rechts schimmerte das silbrige Wasser zwischen den Baumstämmen.
    »Bäume, Bäume, schon wieder Bäume. Ich brauche Himmel«, sagte sie.
    Als sie das kleine Waldstück durchquert hatten, standen sie am Rande einer Steilküste, über der der knallblaue Himmel in das ebenso blaue Meer eintauchte, so dass sie die Linie des Horizonts nur ahnen konnten.
    Thorvald drückte Olga fest an sich. »Hier hast du deinen Himmel.«
    Langsam gingen die beiden den schmalen Pfad entlang. Thorvald hatte die Decke mitgenommen. Sie bahnten sich einen Weg durch die Sträucher und setzten sich nahe des Abgrunds ins Gras. Schweigend schauten sie auf das glitzernde Wasser.
    Irgendwann drehte sich Thorvald zu Olga. Er beugte sich zu ihr und hauchte etwas in ihr Ohr. Eine Windböe strich über sie hinweg und nahm seine geflüsterten Worte mit, bevor sie Olga erreichten. Ihre Blicke trafen sich. Das Meer. Der Himmel. Die Augen, so blau. Er drückte Olga sanft nach hinten, bis sie auf dem Rücken lag. Thorvald drehte sich zu ihr, der Wind wehte ihm die Haare ins Gesicht, in Olgas Gesicht. Die Haare, hellblond und rot   … Seine Hand tastete. Der Reißverschluss der Jacke schob sich nach

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