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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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auf Gudrun Himmelreichs Arm gestützt, an den hochgeklappten Sitzen vorbeizulassen. Am äußeren Ende der Sitzreihen wartete jemand auf die beiden. Thorvald konnte nicht gleich erkennen, wer das war. Doch dann glaubte er, Luis gesehen zu haben.
    Er schaute auf die Uhr, die er unter dem Ärmel seinesJagdrockes versteckt hatte, und stieß einen lauten Fluch aus. Er wusste genau, dass Olga nicht gemütlich im »Luis« vor ihrem Weinglas saß. Sie schlich wieder irgendwo herum, bei Roman oder Vincent. Wieder verfluchte er Christian Reuther, der ihm sein Handy abgenommen hatte. Wieder schaute er auf seine Uhr. Bis zu seinem nächsten Auftritt war noch genügend Zeit. Er stürzte in die Garderobe des Fliegenden Holländers. »Ich brauche dringend dein Handy!«
    »Was ist denn mit dir los? Hast du zu Hause die Herdplatte angelassen?«, fragte dieser belustigt und reichte Thorvald sein Telefon.
    Thorvald nahm es und stöhnte laut auf. »Die Nummer. Ich habe Olgas Nummer doch nicht im Kopf!« Er starrte den Holländer wirr an. »Dieser Scheißkerl von Reuther!«
    »Wem sagst du das. Er kommt übrigens gerade.«
    In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. »Einarsson! Wo   …«
    Thorvald, der exakt einen Kopf größer war als der Regisseur, drehte sich herum und packte ihn blitzschnell am Kragen. »Wenn du mir nicht sofort mein Telefon zurückgibst, gehe ich zu Fuß zur nächsten Telefonzelle. Vielleicht bin ich zur Premierenfeier wieder da.«
    Er ließ den Regisseur los, richtete dessen Halstuch neu aus und funkelte ihn böse an.
    Reuther fasste ohne weitere Umstände in seine Hosentasche, sah Thorvald tödlich beleidigt an und warf das Handy auf den Schminktisch. Dann verließ er erhobenen Hauptes die Garderobe.
    Thorvald griff danach und wählte Olgas Nummer.
     
    »Hagenberg war damals verschwunden. Ruben war schwul. Roman ging seinen eigenen Weg   …« Olga gingneben Ines den Waldweg entlang. Großvater hat nie etwas tatenlos hingenommen. Niemals! Er hat immer alles geregelt. Zum Leidwesen seiner Söhne. Wenn die etwas nicht hinbekamen – mein Großvater hat allerhöchste Ansprüche, denen ein normaler Mensch nie gerecht werden kann – also, wenn ihnen etwas nur mittelmäßig gelang   –, riss er die Dinge an sich und regelte sie, bis sie so waren, wie er das wollte.«
    »Und als Ruben starb, holte er Heinrich ins Boot«, fuhr Ines fort.
    »Der war schon im Boot. Er sollte nur noch das Steuer übernehmen.«
    »Als Ersatzsohn? – Warum ist er dann abgehauen?«
    »Das ist es eben. Wo ist dieser Kerl abgeblieben? Er könnte uns vielleicht weiterhelfen.« Olga hatte ihren schnellen Gang wiederaufgenommen. »Spätestens morgen will ich das wissen und dann fahre ich nach Hause. Ich bleibe keinen Tag länger hier.«
    Sie kamen an die Kreuzung, von der drei Wege abgingen: zum »Luis«, weiter bergauf in die Hütte oder bergab an den See.
    Sie sahen sich an. »Zum See? Bis die Oper vorbei ist?«, fragte Olga. »Und der Hund?«
    »Wir sind zu zweit, ich habe Pfefferspray und ich bin ausgebildet im Umgang mit dieser Art von Monstern«, entgegnete Ines.
    Hintereinander stapften sie durch das hohe feuchte Gras. Nach einer Weile tat sich die dunkle Wasserscheibe vor ihnen auf.
    Vom Seeufer aus machte es den Anschein, als wären die grauen Wolken oben an den Rändern der steilen Klippen hängengeblieben. Sie standen unterhalb der Felswand, aus deren Spalten üppiger sattgrüner Farn wucherte.Olga sah hinauf und dachte sich, dass es eigentlich ein Wunder war, dass bisher noch niemand von dort oben herabgestürzt war.
    Auch Ines hatte den Kopf in den Nacken gelegt, und als hätte sie Olgas Gedanken gelesen, sagte sie: »Ganz schön gefährlich. Und hier durftet ihr spielen?«
    »Durften wir nicht. Haben wir aber.«
    Eine Weile blieben die beiden Frauen am Ufer stehen. Sie sahen auf die dunkelgrüne Wasseroberfläche, die so friedlich dalag. Der orange-blau-graue Wolkenhimmel spiegelte sich darin. Sie hatten einen kleinen Frosch aufgeschreckt, der nah am Ufer entlangschwamm. Er war grün und hatte dunkle Punkte auf dem Rücken und sah genauso aus wie die Pflanzen um ihn herum.
    Olga lächelte und betrachtete ihn mit geneigtem Kopf, dann schaute sie wieder auf die Klippen, die sich im Wasser spiegelten und sich in den ringförmigen Wellen auflösten, die das kleine Tier verursachte. Etwas raschelte laut im Gebüsch unterhalb der Klippen. Doch Olgas Blick hing noch immer an dem verschwommenen Spiegelbild des Felsens auf dem

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