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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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Kleider, fleckige Bettdecken, kaputte Gartenmöbel, leere Verpackungen. Alles hier unten hingeworfen. Er bahnt sich einen Weg durch das Gerümpel zu der steilen Treppe, die nach oben führt. Die beiden untersten Stufen sind verrottet und unbenutzbar. Sie geht wohl nicht mehr nach unten, denkt er. Für einen alten Menschen ist die Treppe lebensgefährlich. Er steigt hinauf, ruft: «Hallo!» Keine Antwort. Im Haus ist es still. Na, dann ist sie wohl einkaufen gegangen.
    Die Küche sieht genauso aus, wie er sie in Erinnerung hat, nur um einiges heruntergekommener. Unglaublich, Herd und Kühlschrank sind immer noch dieselben. Die Tapete, die sich an einigen Stellen gelöst hat, ist auch noch dieselbe: eine halbherzige Imitation von Küchenfliesen in Weiß und Dunkelblau. Er streicht mit den Fingerspitzen darüber und erinnert sich, dass er immer dachte, es sei ein Labyrinth. Nicht das blaue Muster berühren, sonst stirbst du. Dann passiert was. Das geht so schnell, dass du es gar nicht mitkriegst.
    Der Tisch mit der Resopalplatte ist derselbe. Und die Stühle mit dem Bezug aus weinrotem Kunstleder. Die Scheibengardinen, in der Mitte geteilt, damit man leicht hinaussehen kann. Aber niemand kann hereinsehen. Niemand konnte sehen, was hier drinnen vorging. Er öffnet die Tür zum Vorflur, dem kleinen Windfang mit den tabakbraunen Wänden. Der Spiegel mit dem schmiedeeisernen Rahmen. Er weiß noch, wie er sich immer in diesem Spiegel betrachtete, bevor er zur Schule ging. Sich die Haare glattstrich. Kontrollierte, dass die Mütze richtig saß, damit er nicht auffiel.
    Obwohl er wusste, dass sie kommen würde, zuckte er jedes Mal zusammen, wenn sie plötzlich dastand. Ihr Schatten hinter ihm, die starrenden Augen. Kein Wort, nur der Blick, der an ihm herabglitt, um sicherzugehen, dass die Kleidung sauber und gebügelt und alles ordentlich bedeckt war. Und danach gab sie ihm einen Klaps in den Nacken, zum Zeichen, dass er gehen konnte. Sagte etwas, scharf und laut. Er sah auf die Armbanduhr, warf einen Blick nach draußen, um sich zu vergewissern, dass die Rüpel schon vorbei waren, und wenn er sich nicht sicher war, musste er etwas Zeit schinden. Ein Buch, das er oben in seinem Zimmer vergessen hatte, ein Bleistift, den es noch schnell anzuspitzen galt. Dann flitzte er die Treppe hinauf und wieder hinunter, während sie mit schriller Stimme irgendwas rief. Rannte durch den kleinen Garten. Und war es immer noch zu früh, versteckte er sich im Schuppen und wartete ein paar Minuten, bevor er sich ein Herz fasste, die Pforte öffnete und den Berg hinunterlief.
    Als er durch den Flur geht, sticht ihm der Geruch von Urin in die Nase. Er öffnet die Tür zum Badezimmer, schaut hinein. Was für ein atemberaubender Gestank, er weicht zurück, macht die Tür wieder zu. Mein Gott, wie weit ist es nur mit ihr gekommen.
    Als er die Stube betritt, begrüßt ihn das Zwitschern eines Wellensittichs in einem Bauer. Er geht zum Käfig, starrt den Vogel hinter dem Gitter an, begegnet seinem Blick. Der Vogel verstummt. Er dreht sich um, hält aber inne, als er den gedeckten Tisch sieht. Das gute Möwenservice, und gedeckt für drei. Übelkeit steigt plötzlich in ihm auf, aber er weiß nicht, ob es wegen der unappetitlichen Schnittchen ist, die zweifellos schon viel zu lange da stehen, oder wegen der Möglichkeit, dass noch ein Gast kommen sollte und wer zum Teufel das sein könnte. Was übrigens auch egal ist, denn das Essen ist nicht angerührt worden, die andere Person ist wohl auch nicht gekommen. Für einen Moment sieht er ihr enttäuschtes Gesicht vor sich. Er nimmt das Tablett mit den Schnitten, trägt es in die Küche, öffnet den Abfalleimer und kippt das Essen weg. Geht zurück in die Stube, räumt das Geschirr zusammen, öffnet das Buffet und stellt es hinein.
    Er erinnert sich an ihre kleinen, aber seltenen Damenkränzchen. Schon Tage im Voraus begann sie mit den Vorbereitungen. Putzte in allen Ecken und Winkeln. Deckte den Tisch hübsch, schmückte ihn mit Blumen. Meist waren es Frauen vom Handarbeitsklub. Zwei, drei Damen, die Nähzeug, Stoffe und Schnittmuster mitbrachten. Sie nähten Trachtenkleider. Bestickten Leibchen und Manschetten. Mutter servierte Gebäck und Tee, hektisch und aufgedreht. Früher oder später – es blieb nie aus – rief sie ihn zu sich hinein, mit hoher, unnatürlicher Stimme. Um ihn dann lächelnd zu präsentieren und hemmungslos mit ihm anzugeben. Wie gut er in der Schule war, wie eifrig er seine

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