Der Waldläufer
Cuchillo in dieser Beziehung viel mehr weiß, als er sagen will, und daß sein Tod für uns ein unersetzlicher Verlust sein würde.«
»Das bezweifle ich«, erwiderte der alte Diener, den Kopf schüttelnd. »Das Gesicht Cuchillos ist eines von denen, in denen ein geübtes Auge sich nicht täuscht. Übrigens wünsche ich sehr, mich zu täuschen.«
»Bah! Ihr seht alles schwarz.«
»Ich muß Euch in der Tat vorkommen wie jene Vögel von böser Vorbedeutung, die nur traurige Kunde geben. Niemand fürchtet die Gefahr weniger als ich; und doch scheint es mir, als ob Gott mir einen geübteren Sinn, sie vorher zu ahnen, verliehen hätte. Ich weiß nicht, welche innere Stimme mir heute abend zuruft, mein Leben zu hüten; und warum, wenn wir es recht betrachten? Wer kann das hindern, was kommen soll? Ach, seht doch, diese Tiere hören abermals auf zu fressen, um zu horchen!«
»Wenn sie nur nicht noch anfangen zu schaudern«, sagte Baraja.
»Was ist dabei zu tun?« erwiderte der alte Hirt. »Was mich betrifft, so werde ich, wenn Ihr nichts dagegen habt, mich auf meinen Mantel legen und schlafen.« Und indem er die Tat den Worten folgen ließ, wickelte sich Benito in seine wollene Decke – ebenso, wie er sich in seinen Fatalismus einhüllte – und streckte sich lang aus, mit dem Kopf an einen Packsattel gelehnt, wie diese am Fuß der Einfriedung aufgehäuft lagen.
Aber Baraja war weit davon entfernt, ein Anhänger derselben Lehre wie der alte Hirt zu sein. Seine Einbildungskraft zeigte ihm tausend schreckliche Erscheinungen, die vor ihm aus der stets so feierlichen Dunkelheit der Steppe auftauchten. Er glaubte jeden Augenblick das Geheul der Indianer hören zu müssen, das die tiefe Stille unterbrach, in der sich Gefahren verbargen, von denen die kleinste das Haar auf dem Kopf sich sträuben ließ. Besonders in der Nacht hat auch der mutigste Mann solch schwache Augenblicke, und der ruinierte Hacendero war, ohne gerade einen für alle Fälle erprobten Mut zu haben, doch weit davon entfernt, ein Feigling zu sein. Er versuchte vergeblich, sich wie sein Gefährte in alles zu ergeben und ebenfalls einzuschlafen; aber er war noch zu sehr Neuling in dieser an Gefahren und Abenteuern reichen Laufbahn, um die philosophische Sorglosigkeit Benitos zu besitzen. Weit davon entfernt, wie dieser zu glauben, daß man einer unvermeidlichen Gefahr gegenüber nichts weiter tun könne, als den Kopf zu beugen, war der gewesene Hacendero vielmehr der Ansicht, das beste Mittel, sie zu vermeiden, sei das, ihr zu entfliehen.
Allein in diesen Einöden, die das Mondlicht wie einen See erstrahlen ließ, wo der Tod überall lauern konnte, wäre es ebenso gefährlich gewesen, aus dem Lager zu fliehen, als ein Schiff in der Gefahr zu verlassen, um sich in die unbekannten Tiefen des Ozeans, die der gierige Hai durchstreift, hineinzustürzen.
Nach einem langen Tagesmarsch schliefen alle Abenteurer lang ausgestreckt auf dem Sand; die Posten allein waren wach und ließen den Kies unter ihren Füßen erknirschen. Dieses von keinem anderen Geräusch unterbrochene Schweigen beruhigte endlich Baraja, als der Abendwind ihm noch den Schall einiger jener fernen Schüsse zutrug, die man während des Tages gehört hatte. Dieser Umstand widersprach den Behauptungen des alten Vaqueros in bezug auf die Marter von Gefangenen.
Baraja stieß den alten Diener mit dem Ellbogen. »Man schießt noch dort unten!« sagte er.
Der Vaquero lauschte. »Das ist richtig. Wenn dies jedoch kein Zeichen ist, daß Cuchillo oder Gayferos zum Zielpunkt indianischer Büchsen dienen, so freue ich mich darüber und wünsche Euch eine gute Nacht. Schlaft ebenfalls, Freund Baraja; in den Steppen ist die Zeit zum Schlafen sehr kostbar, obgleich man jede Minute in die Lage kommen kann, auf ewig einzuschlafen.« Nach diesem erschreckenden Ausspruch hatte der alte Vaquero seinen wollenen Mantel wieder über seine Augen gebreitet, um sie vor den lästigen Strahlen des Mondes zu schützen, als das dumpfe Schnauben der Lasttiere ihn abermals den Kopf heben ließ. »Ach«, sagte er, » die roten Teufel schweifen nicht weit von hier umher!«
Ein Wiehern, das aus der Tiefe der Ebene herüberscholl, ließ sich, begleitet von einem Alarmruf, aus der Ferne vernehmen; zu gleicher Zeit, als ein Reiter mit verhängten Zügeln herbeisprengte. Und wie als letztes Anzeichen der Gefahr ließ der Instinkt die Tiere schweigen; ihrem dumpfen Schnauben folgte ein Schaudern vor Schrecken, das ihnen der
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