Der Waldläufer
zu zerschmettern, die abschüssigen Seiten des Hügels hinabgleiten ließen, folgte Bois-Rosé mit seiner Büchse, deren langer, schwerer Lauf in seinen Händen wie auf einer eisernen Gabel ruhte, den Sprüngen des Pferdes in der Ebene. Die beiden Reiter flohen in gerader Linie vor ihm und schienen nur aus einem Leib zu bestehen. Die Kruppe des Pferdes oder Diaz' Schultern – das war das einzige Ziel für seine Kugel. Kaum war einmal von Minute zu Minute der Kopf des Tieres vor ihnen sichtbar. Diaz zu opfern, war ein unnützer Mord, denn Don Estévan entkam doch; noch einen Augenblick mehr, und die Flüchtlinge waren außer Schußweite. Aber der Kanadier gehörte zu jenen Schützen, die einen Fischotter oder einen Biber mit der Kugel ins Auge treffen, um den Balg zu schonen – und hier sollte er den Kopf eines Pferdes treffen!
Nur eine Sekunde bog der edle Renner, der die beiden Reiter davontrug, den Kopf unter dem Einfluß des Zügels leicht zur Seite – diese Sekunde genügte dem Kanadier. Ein plötzlicher Schuß, eine Kugel, die so nahe an ihren Wangen vorbeipfiff, daß die Haut schauerte, das war alles, was die beiden Reiter vernahmen, die kopfüber vom Pferd rollten, das tödlich getroffen zusammenstürzte.
Don Antonio von Mediana und Pedro Diaz erhoben sich kaum, zerstoßen und zerquetscht von ihrem Fall, als Fabian und der Spanier – den Dolch zwischen den Zähnen, die Büchse in der Hand – auf sie zuliefen; ziemlich weit hinter seinen Freunden kam der Kanadier in gigantischen Sprüngen, indem er zugleich wieder seine Büchse lud.
Als dies geschehen war, stand der Kanadier unbeweglich wie eine zweiglose Eiche.
Pedro Diaz war treu bis zum letzten Augenblick; er lief zum Gewehr, das der Hand Don Estévans entfallen und weit weggerollt war, und brachte es ihm zurück. »Verteidigen wir uns bis auf den Tod!« sagte er und zog aus dem Knieband seiner Reitgamaschen ein langes Messer.
Der spanische Señor stand wieder fest auf den Füßen, legte sein Gewehr an und schien einen Augenblick unentschlossen, ob der erste Schuß Fabian oder Pepe gelten sollte; aber der Kanadier wachte in der Ferne. Don Estévan hatte Fabian, den er sich als Opfer ausersehen hatte, noch nicht aufs Korn genommen, als eine Kugel aus Bois-Rosés Büchse die Waffe in seinen Händen traf, von der er eben Gebrauch machen wollte. Das Blei zerbrach das Gewehr an der Stelle, wo der Lauf am Schaft befestigt ist. Die Büchse entschlüpfte den Händen Don Estévans; er selbst verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Sand.
»Endlich! Nach fünfzehn Jahren!« rief Pepe, indem er sich auf Don Antonio stürzte und ein Knie auf seine Brust setzte.
Vergebens wollte der Spanier Widerstand leisten. Sein Arm war durch die Heftigkeit des Stoßes, wodurch ihm seine Büchse aus der Hand gerissen wurde, betäubt und versagte ihm jeden Dienst. In einem Augenblick hatte Pepe den wollenen Gürtel, der mehrmals um seinen Leib geschlungen war, aufgeknüpft und band damit die Hände und Füße seines Feindes fest zusammen. Diaz konnte ihm nicht zu Hilfe kommen, er mußte sich gegen Fabian verteidigen.
Fabian kannte Pedro Diaz kaum. Er hatte ihn nur einige Stunden in der Hacienda del Venado gesehen; aber sein hochherziges Benehmen hatte ein warmes Mitgefühl im Herzen des jungen Mannes erweckt – er wollte sein Leben schonen. »Ergebt Euch, Diaz!« rief er, indem er einem Dolchstoß auswich, den ihm der Abenteurer bestimmt hatte, der entschlossen war, zu sterben und sich nicht zu ergeben.
Während der kurzen Zeit, wo der spanische Jäger Don Antonio knebelte, kämpften Fabian und Diaz mit gleicher Geschicklichkeit und Gewandtheit. Fabian war zu großmütig, um von seiner Feuerwaffe gegen einen Feind Gebrauch zu machen, der zu seiner Verteidigung nur einen Dolch hatte; er suchte nur seinen Gegner zu entwaffnen. Diaz aber war blind vor Rachsucht und sah die edelmütige Anstrengung des jungen Grafen von Mediana nicht. Er hatte den Lauf des Gewehrs in der Hand, und mit dem Kolben suchte er wie mit einer Keule den Arm mit dem Dolch zu treffen, dessen rasche Bewegungen ihn jeden Augenblick bedrohten; aber er hatte es mit einem nicht weniger gewandten und kräftigen Gegner, als er selbst war, zu tun. Diaz sprang rechts und links, wich den Schlägen Fabians aus, und in dem Augenblick, wo der junge Mann den Arm des Mexikaners zu lähmen dachte, fuhr sein Hieb durch die Luft, und abermals blitzte das Messer wie ein Blitzstrahl dicht an seinem Körper.
Bois-Rosé
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