Der Waldläufer
geblieben wären, die den hornenen Griff verzierten.
»Wie befand sich Fabians Messer so nahe beim Abgrund?«
Pepe antwortete nicht auf diese Frage seines Gefährten. Die Erfindungskraft seines Geistes war einen Augenblick lang nicht imstande, eine natürliche Erklärung zu finden, und die beiden Jäger verharrten unter dem Gewicht einer schrecklichen Ungewißheit. Der ehemalige Grenzjäger hielt sich jedoch noch nicht für geschlagen; er näherte sich dem Ort, wo sie beide an den zerknickten Gesträuchen die Richtung erkannt hatten, in der die Kämpfer von der Höhe der Pyramide herabrollen mußten. Von hier aus zog er mit ausgestreckter Hand in Gedanken eine Linie im Mittelpunkt des Raumes, der die beiden Gesträuche voneinander trennte. Diese Linie endete am Fuß des abgestumpften Hügels, nicht weit von der Öffnung des Abgrunds.
»Das Messer Fabians wird beim Sturz seiner Hand entfallen und bis an die Stelle gerollt sein, wo du es gefunden hast. Wenn du nun – was wahrscheinlich ist – annimmst, daß bei dem Kampf, der am Fuß der Pyramiden fortgesetzt wurde, zwei oder drei von diesen Schelmen ihrem Gefährten zu Hilfe gekommen sind, so mußte Don Fabian in einem Nu umringt und gefangengenommen worden sein, ehe er sein Messer wieder aufraffen konnte.«
Bois-Rosé mußte sich abermals mit dieser Erklärung begnügen, denn er war zu dem Punkt gekommen, glühend zu hoffen, nachdem er einmal über die geistige Niedergeschlagenheit, die ihn beherrschte, triumphiert hatte. Große Schmerzen beruhigen sich zuweilen mit noch weniger guten Gründen, als der war, den Pepe mit einer Überzeugungskraft angeführt hatte, die der Kanadier zu teilen nicht umhin konnte. Die beiden Jäger verließen darauf diesen Teil des Tals, den sie untersucht hatten, und stiegen auf den Gipfel der Felsenkette.
»Ich kehre wieder zu meiner Meinung zurück«, fuhr Pepe fort, während beide versuchten, ein geheimnisvolles Ereignis zu durchdringen, wobei der von den Sturzbächen durchwühlte Boden ihnen jede genügende Erklärung verweigerte. »Don Fabian wird ein Gefangener in der Gewalt dieses abscheulichen Sang-Mêlé sein; man wird versuchen, ihn durch Furcht und durch Versprechungen zu gewinnen; und da der kühne junge Mann über die ersten spotten und die anderen verachten wird, so wird er uns damit auf die eine oder die andere Weise Zeit geben, bis zu ihm zu dringen.«
»Ach«, rief Bois-Rosé mit Bitterkeit aus, »ein alter Fuchs wie ich, und sich so fangen lassen!«
»Es gibt noch Waffen, die man uns nicht nehmen kann: nämlich ein gutes Messer für jeden von uns, ein unerschrockenes Herz und – ich darf es wohl sagen – das Vertrauen auf Gott, der dich nicht so wunderbar auf Fabians Weg geführt hat, um ihn dir so für immer zu nehmen. Du wirst mir darauf erwidern, daß der Hunger uns bedroht. Das ist freilich wahr ...«
»Was liegt daran! Wir werden es machen wie diese armen Teufel von Indianern, die Wurzelesser, die uns im vorigen Jahr in den Felsengebirgen beherbergten und die sich nur von wilden Früchten oder Wurzeln nähren.«
»So sehe ich dich gern, Bois-Rosé, wie an dem Tag, wo ich dich in einer wahrhaftig sehr kritischen Stellung ruhig rauchen sah, obgleich du an jenem verdammten Pfahl, wie du weißt, angebunden warst, und als du beim Ton einer gewissen Büchse, den du so gut kanntest, den Kopf ohne Erstaunen in dem Augenblick umwandtest, wo der Indianer, der schon in die Haut deiner Stirn geschnitten hatte, wie ein von einer tödlichen Ohnmacht getroffener Hund niederstürzte ...«
»Ich war in der Tat nicht erstaunt, Pepe, denn ich erwartete dich!« erwiderte der Kanadier einfach.
»Ich sage dir das nicht, um dich an diesen kleinen Dienst zu erinnern, sondern weil es dir beweisen muß, daß man in dieser irdischen Welt nie an irgend etwas verzweifeln darf.«
Die beiden Jäger waren an dieselbe Stelle gekommen, wo sich die Indianer am vorigen Tag befunden hatten. Bois-Rosé stand aufrecht auf der Böschung des Abhangs und konnte sich nicht enthalten, einen schwermütigen Blick auf die Plattform der gegenüberliegenden Pyramide zu werfen, auf der sie sich selbst – stark durch ihre Einheit, durch ihre Kraft und ihren Mut – verschanzt hatten. Ihre Einheit war zerrissen, ihre Kraft zerbrochen; der Mut allein blieb ihnen noch übrig.
»Ah«, rief der Kanadier aus, »das ist die erste freudige Bewegung seit gestern abend, die mein Herz klopfen läßt!«
»Was gibt es?« fragte Pepe, indem er sich seinem
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