Der Waldläufer
Augen zu schweben, denn in seinem Lauf mußte er den Körper des lauernden Spaniers fast berühren – und doch verließ er die gerade Linie nicht.
Der frühere Grenzjäger ergriff mit einer Hand ein Horn des Büffels, der sich nicht umwandte, und mit der anderen stieß er ihm zweimal den Dolch bis an das Heft in die Brust, statt in die Schulter. Das Tier erhob sich aber bald wieder und riß den Spanier mit sich fort. Der ehemalige Grenzjäger hatte sich durch eins jener kühnen Manöver, die die Toreadores seines Vaterlands zuweilen in Anwendung bringen, auf dem Rücken des Tieres an die große, wallende Mähne angeklammert.
Bois-Rosé und Gayferos liefen hinzu und konnten einen Augenblick sehen, wie der Reiter, vom Hunger verzehrt, sich wie eine Schlange um seine Beute wand, abwechselnd den Arm zum Stoß hob und dann jedesmal den Kopf bückte, um mit gierigen Lippen das Blut zu saugen, das jeder Stoß hervorspritzen ließ. Der Hunger hatte den Menschen zum wilden Tier gemacht. Von nun an war es dem Grenzjäger gleichgültig, welche Richtung der im Todeskampf dahinstürmende Büffel einschlagen mochte; er trank wieder und immer wieder von dem warmen Blut, das ihm das Leben wiedergab, heulte, stieß mit dem Dolch und ließ sich davontragen.
»Tod und Donner!« rief der Kanadier keuchend aus, der nun auch den Qualen des Hungers, den er so lange durch seinen unerschütterlichen Willen unterdrückt hatte, nachgab. »Mach doch ein Ende mit ihm, Pepe! Willst du ihn vielleicht in den Fluß entkommen lassen?«
Der Spanier brüllte und stieß immer wieder zu, ohne zu sehen, daß der Büffel zum Fluß stürzte, um den an seinen Weichen angeklammerten Feind abzustreifen. In dem Augenblick, wo Bois-Rosé einen zweiten Schrei der Wut ausstieß, nahm das verwundete Tier seine Kräfte zusammen und setzte mit gewaltigem Sprung wie ein verendender Hirsch ins Wasser.
Der Mensch und der Büffel verschwanden mitten in einer Welle von Schaum und überschlugen sich einen Augenblick; aber das Leben hatte den Riesen der Prärien verlassen, der bald zusammenbrach und unbeweglich wie ein im Strom eines Flusses gestrandeter Felsblock liegenblieb.
In dem Augenblick, wo Pepe wieder festen Fuß faßte, stürzten der Kanadier und Gayferos, blutdürstig wie der Spanier, ebenfalls in den Fluß.
»Ungeschickter Schlächter!« rief der Kanadier aus und wandte sich an Pepe. »Sah man wohl jemals ein edles Tier so hinschlachten?«
»La, la!« antwortete Pepe. »Ohne mich wäre euch dieses edle Tier entkommen; und da liegt es dank meiner Ungeschicklichkeit!« Mit diesen Worten hatte der Spanier seine gute Laune ganz wiedererlangt und sprang mit wilder Freude um den im Strom gestrandeten Büffel herum.
Die Anstrengungen der drei Jäger waren kaum imstande, die ungeheure Leiche ans Ufer zu ziehen, wo sie keine Zeit verloren, ihn zu zerlegen, aber ihr Werk noch oft unterbrachen, um sich den Ausbrüchen einer trunkenen Freude zu überlassen, die sie fast überwältigte.
»Lebensmittel für einen ganzen Feldzug!« wiederholte Pepe zum zehntenmal. »Ein Riesenmahl und dann die Ruhe unter diesen schönen Bäumen«, endete er und zeigte auf die schattige, gegenüberliegende Insel. »Ein rasches Mahl, wie es der Soldat im Feld zu sich nimmt, eine Stunde Schlaf und dann weiter auf der Spur der Indianer!« antwortete ernst der Kanadier. »Ich vergaß dies, Bois-Rosé; wir hatten soviel vom Hunger ausgestanden!«
In der Erinnerung an das Gefühl ihrer Pflicht und ihrer Liebe setzten die drei Jäger schweigsam ihr Werk fort, als klagendes Geheul sie unterbrach. »Halt!« sagte Pepe und zeigte auf zwei Wölfe am entgegengesetzten Ufer der Insel, denen der Hunger dieses Geheul entriß und von denen sie mit gierigen Augen betrachtet wurden. »Da sind zwei arme Teufel, die auch ihren Anteil vom Büffel verlangen, und – wahrhaftig – sie sollen ihn haben!«
Bei diesen Worten ergriff der Grenzjäger einen Vorderfuß des Büffels, schwang ihn um den Kopf und warf ihn mit kräftigem Arm über den Fluß. Die Beute der Wölfe fiel einige Schritt vor ihnen nieder, und die beiden hungrigen Tiere stürzten sich ins Wasser, um sie herauszuholen.
»Das hier wird später für sie und ihre Gefährten sein«, sagte Bois-Rosé, als die edelsten Teile des Tieres – das heißt der Höcker, der das saftigste Stück Fleisch und mit Recht wegen seines ausgezeichneten Geschmacks gesucht ist, und das in lange, schmale Streifen geschnittene Rückenstück – beiseite gelegt
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