Der Waldläufer
seines Degens und schlief endlich ein, trotz des Hungers und der Kühle der Nacht.
Er erwachte, als es kaum Tag war, und schaute zur Erde nieder; da lag immer noch die schwarze Masse, aber so undeutlich, daß der Abenteurer meinte, ein Bild der Phantasie statt der Wirklichkeit zu sehen. Der Bär war auch in der Tat ebenso wie das Pferd nebst Sattel und Zaum verschwunden und hatte letzteres – vielleicht zum Zeitvertreib – verschlungen oder wenigstens zu seiner Höhle geschleppt.
Ein schrecklicher Tag folgte dieser furchtbaren Nacht. Hunger und Durst, grauenhafte Erscheinungen von eingebildeten Bären hinter allen Gebüschen ließen dem Abenteurer keinen Augenblick Ruhe und Erholung; dann bemerkte er bei Sonnenuntergang den Rauch eines unsichtbaren Feuers. Sollte diese Rauchsäule von einem Mahl von Indianern herrühren, das nicht weniger zu fürchten war? Der verhungerte Mexikaner faßte den Entschluß, diese Richtung einzuschlagen.
Sechs Indianer saßen um ein Feuer, aber ohne daß scheinbar irgendeine Mahlzeit zu ihrer Verfügung stand. Diaz erschrak über das hungrige Aussehen des Feuers und wollte sich leise wieder davonschleichen; aber das Falkenauge der wilden Genossen hatte ihn bemerkt, und der Abenteurer war gezwungen, einer Aufforderung, näher heranzukommen, zu gehorchen – einer so drohenden Aufforderung, daß er sich darein ergeben mußte.
Es waren die sechs Komantschen Rayon-Brûlants. Für den Augenblick mit den Weißen verbündet, nahmen die indianischen Krieger ihren unfreiwilligen Gast friedlich auf, fragten in schlechtem Spanisch nach dem Ziel seiner Wanderung, und Diaz nannte den Büffelsee. Dahin wollten auch die Komantschen, und der Abenteurer setzte sich ans Feuer, wo er sich mit einer Pfeife Tabak, mit Sumachblättern vermischt, als einziger Mahlzeit begnügen mußte.
Indessen schien – war es nun ein Phantasiegebilde seines ausgehungerten Magens, oder war es etwas Wirkliches – ein Duft von gebratenem Fleisch die Atmosphäre um den Mexikaner balsamisch zu durchdringen. Nachdem er aufgehört hatte, zu rauchen, erhob sich einer von den Indianern, entfernte sich einige Schritte von der Gruppe und kniete an einer Stelle des Bodens nieder, die erst ganz kürzlich aufgegraben schien.
Diaz folgte seinen Bewegungen mit einem so außerordentlichen Interesse, daß er es selbst nicht recht begreifen konnte. Er sah nun, wie der Indianer die Erde mit seinem Messer aufgrub! Nun war es keine Einbildung mehr. Ein balsamischer Duft, lieblich und durchdringend zugleich, drang aus dem halbgeöffneten Boden hervor. Der Abenteurer stieß das Geheul eines hungrigen wilden Tieres in dem Augenblick aus, wo der Indianer aus der Erde eine schwarze Masse wie verkalktes Leder hervorzog und diese verkohlte Hülle aufmachte; er wurde beinahe ohnmächtig beim Anblick eines ganzen Berges von Fleisch, das so duftend, rosig und saftig war wie das rosenfarbige, saftige Fleisch der Wassermelone. Der wilde Küchenmeister legte es in seiner schwärzlichen Schale auf die Erde nieder.
Es war ein Büffelrücken, den der Indianer eben aus dem unterirdischen Ofen herausnahm, wo zuerst seine Hautumhüllung, dann die Erde selbst dem Braten nichts von seiner Vollkommenheit und seinem Wohlgeruch entzogen hatten. Wir verweisen den Leser, der neugierig sein soll, die Zubereitung eines solchen Mahles im einzelnen kennenzulernen, auf das Werk »Voyage et aventures en Mexique 1847«.
Während Diaz mit Vergnügen ein so dringendes Bedürfnis befriedigte, unterrichteten ihn die Indianer von dem Ziel, das sie sich gesetzt hatten – nämlich Main-Rouge und Sang-Mêlé anzugreifen –, und seit diesem Augenblick blieb er bis zu dem Scharmützel bei ihnen, das eben stattgefunden hatte.
Wir beenden unsere Erzählung mit der Versicherung, daß Diaz nicht ohne Vergnügen die Möglichkeit als gewiß oder wenigstens als wahrscheinlich betrachtete, daß die ungeheure, rauhe, mit gewaltigen Krallen versehene Tatze, die er in einer Ecke des Kanus liegen sah, diejenige des Grauen Bären sei, der dem Abenteurer so furchtbare Gefühle eingeflößt hatte.
In dem Augenblick, wo Diaz seine Erzählung beendete, gab der Komantsche dem Kanadier und dem Spanier ein Zeichen, mit Reden einzuhalten, und deutete auf eine Rauchsäule vor dem Kanu, die sich mitten aus einem dichten Gebüsch erhob.
»Das ist nur ein Feuer«, sagte Bois-Rosé und ließ das Kanu sich in der Strömung wenden; »wir wollen jedoch so vorsichtig sein, Kundschafter
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