Der Wanderchirurg
keine zwei Dussacks, woraus zwingend hervorgeht, dass nur einer von uns einen bekommen kann, zweitens ist der Degen mit seiner Schutzkugel genauso ungefährlich, drittens endlich wird dein Degen mich niemals treffen, zumindest in den ersten Lektionen nicht.«
»Dann los!« Vitus stellte sich breitbeinig hin, umklammerte seine Waffe und wartete auf den Angriff seines Lehrers.
»Fang du an.« In Arturos Stimme lag leichter Spott. Vitus stürmte mit großen Schritten auf den Fechtmeister zu, sich ermahnend, seine Schläge auf keinen Fall durchzuziehen, um Arturo nicht zu verletzen, doch im nächsten Augenblick musste er feststellen, dass seine Sorge unbegründet war. Der Fechtmeister hatte längst die Position gewechselt.
»Komm, Gottesanbeter, versuch's noch mal.« Wieder sprang Vitus vor, und abermals stürmte er ins Leere. Ein unterdrücktes Lachen in seinem Rücken ließ ihn herumfahren. Am Wegrand hatten sich die Gaukler versammelt. Maja war es, die gekichert hatte. Sie schmiegte sich an Zerrutti. Auch Anacondus stand da, ebenso wie die Zwillinge und der Magister. Der kleine Gelehrte schüttelte aufmunternd seine Faust.
»Lass dich nicht unterkriegen, Vitus!« Tirzah war ebenfalls gekommen. Sie blickte ein wenig ängstlich, was der Doctorus zum Anlass nahm, ihr beschützend den Arm um die Schultern zu legen. Aus irgendeinem Grund ärgerte Vitus das, erneut machte er einen Satz nach vorn, um Arturo in Bedrängnis zu bringen. Doch wie bei den Malen zuvor zerteilte er mit seiner Waffe nur die Luft.
»Lass gut sein!«, rief der Fechtmeister, nachdem Vitus es noch ein paar Mal versucht hatte. »Du hast so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann: Deine Schritte waren falsch, deine Haltung war falsch, deine Hiebe waren falsch. Ein wirklicher Gegner hätte jetzt leichtes Spiel mit dir.«
»Das gebe ich zu«, keuchte Vitus.
»Zunächst einmal ist der Degen vom Charakter her keine Hiebwaffe wie das Schwert, sondern eine Stoßwaffe. Ferner muss man wissen, dass es beim Fechten mindestens genauso auf Behändigkeit und Ausdauer ankommt wie auf Kraft.«
»Das habe ich gemerkt.«
»Siehst du, damit hast du deine erste Lektion schon gelernt. Beim Fechten ist gute Technik alles. Der Gegner kann noch so stark sein, wenn er erst einmal außer Atem ist, wird auch der Schwächste ihn besiegen. Und nun kommen wir zur Grundstellung. Sie ist die Ausgangsposition für jede Aktion. Obwohl sie etwas seltsam aussieht, hält sie den Körper optimal im Gleichgewicht, was lebenswichtig ist bei den raschen Vorwärts-und Rückwärtsbewegungen, die der Kampf erfordert. Vergiss nie: Ein Fechter, der die Balance verliert, ist so gut wie tot.«
»Ich verstehe.«
»Gut.« Arturo zog mit der Hacke einen zehn Schritt langen Strich in den Lehm. »Auf dieser Linie werden wir uns gegenüberstehen. Stelle deinen rechten Fuß auf den Strich.«
Vitus tat es.
»Jetzt drehst du den linken Fuß nach außen, bis er einen rechten Winkel zum anderen Fuß bildet. Die Hacken müssen dabei zusammenbleiben. Gut so. Und nun nimmst du den linken Fuß einen halben Schritt zurück. Ja, genau so ... aber dein Oberkörper muss dabei aufrecht bleiben.«
Er korrigierte Vitus' Haltung. »Wenn du dich gerade hältst, kannst du deine Bewegungen besser ausbalancieren. Wie du im Übrigen merkst, hat sich durch die Beinstellung deine rechte Schulter nach vorne geschoben. Dadurch hast du die Trefferfläche für deinen Gegner verkleinert - ein weiterer Vorteil der Grundstellung.«
»Ich merke schon, Fechten ist eine Wissenschaft für sich.«
»Und wie jede Wissenschaft will sie sorgfältig studiert sein. Jetzt nimmst du die Waffe mit leicht angewinkeltem Arm hoch, der Degen muss sich dabei in einer Linie mit dem von mir gezogenen Strich befinden.«
Arturo hatte sich inzwischen in vier Schritt Abstand zu Vitus aufgestellt. »Die Spitze muss ungefähr auf gleicher Höhe mit meiner Schulter sein ... ja, so ist es richtig.«
»Kann's jetzt losgehen?«
»Nein, mein Gottesanbeter, erst nimmst du deinen linken Arm halbhoch nach hinten und winkelst ihn an ... etwas höher ... ja, so. Der linke Arm dient der Stabilisierung, ähnlich wie der Schwanz bei einer fallenden Katze.« Arturo nahm jetzt ebenfalls Grundstellung ein. Beide Gegner standen sich mit erhobener Waffe gegenüber. »Der Abstand zwischen den beiden Kämpfern wird Mensur genannt«, fuhr Arturo fort.
»Man könnte sagen, ein Gefecht ist nichts anderes als das ständige Variieren der Mensur.«
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