Der Wanderchirurg
Anacondus nicht zu mir, und der Doctorus sitzt bei dir auf?«
»Die Frage ist berechtigt, ich habe sie mir auch schon gestellt. Es gibt eigentlich nur einen Grund: Du als Mediziner kannst dich viel besser mit ihm unterhalten.«
»Soso.«
»Ja doch. Vielleicht könntet ihr euch über seine SechsSäfte -Lehre oder Weiß-der-Teufel-was austauschen.«
»Also dann, in Gottes Namen«, hatte Vitus geseufzt. Gegen Mittag befahren sie einen besonders breiten, ausgetretenen Weg, der offenbar dem Viehtrieb diente. Unter den unzähligen Hufabdrücken erkannte Vitus die Spuren von Schafen, Rindern und Eseln. Danach wurde der Untergrund zunehmend holpriger, und er bemühte sich, das Gefährt so ruhig wie möglich zu lenken. Doch an einer besonders unwegsamen Stelle tauchte unverhofft ein mächtiger Stein auf, der das rechte Vorderrad abrupt emporhob. Der Doctorus verlor das Gleichgewicht und ergriff Hilfe suchend Vitus' Arm.
»Ich bitte um Verzeihung.«
»Schon gut.« Vitus bemühte sich, freundlich zu sein.
»Ihr könnt ja nichts dafür, dass die Straße so schlecht ist.«
»Wie wahr, wie wahr.« Der Doctorus warf Vitus einen Blick unter herabhängenden Lidern zu. Dann wandte er sich nach hinten und sprach durch einen kleinen Sichtschlitz in den Wagen: »Ich hoffe sehr, dass Euch nichts passiert ist, Jungfer Tirzah?« Seine Stimme war honigsüß.
Als er keine Antwort erhielt, redete er weiter, als sei nichts geschehen: »Was nimmt man nicht alles in Kauf, um den armen Menschen überall im Lande zu helfen.«
»Hm.« Vitus fiel darauf nichts ein.
»Ihr scheint einige Kenntnisse in der Heilkunst zu haben«, machte der Doctorus einen weiteren Versuch. Sein eines Augenlid hob sich etwas. »Ich für meinen Teil habe meinen Doctorus medicinae an der Universität zu Toledo gemacht, summa-cum laude, wie ich hinzufügen darf.«
»Wie schön für Euch.«
»Ich habe dort anschließend jahrelang als Magister gewirkt, Ihr wisst sicher, was das bedeutet.«
»Ja, das weiß ich.«
Ohne Vitus' Antwort zu beachten, redete Bombastus Sanussus weiter: »Als Magister seid Ihr befugt, die Studenten zu unterrichten und in der Kunst des Operierens auszubilden. Eine schöne Aufgabe, wie Ihr Euch denken könnt.«
»Die Universität von Toledo ist mir ein Begriff«, entgegnete Vitus. »Zusammen mit Cordoba ist sie die wohl berühmteste Stätte in Spanien für medizinische Wissenschaften. Der Ruhm Cordobas verblasste leider im 11. Jahrhundert, doch soweit ich weiß, ist Toledo weiterhin ein Zentrum der Gelehrsamkeit.«
»Ihr seid gut informiert.«
»Sicher lange nicht so gut wie Ihr. Wie denkt Ihr über die lateinische Ausgabe des at-Tasrif von Abulcasis?«
»Nun, äh ... es ist ein sehr schönes Werk.«
»Es beinhaltet immerhin die wichtigsten Übersetzungstexte arabischer Medizinliteratur. Als er das at-Tasrif latinisierte, hat Gerhard von Cremona der Menschheit einen großen Dienst erwiesen, meint Ihr nicht auch?«
»Natürlich.«
»Es übte den nachhaltigsten Einfluss auf die Chirurgenschulen in Frankreich und Italien aus, denkt nur an Paris und Padua.«
»Ihr sagt es!« Der Doctorus lehnte sich zurück und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft.
»Jaja, der Gerhard von Cremona«, sagte er scheinbar sinnend, »die Deutschen sind schon ein tüchtiges Volk!«
»Gerhard von Cremona stammte aus Italien.« Für den Bruchteil einer Sekunde flatterte das Augenlid des Doctorus, dann grub seine Hand sich in Vitus' Schulter.
»Hoho! Hab ich Euch also doch nicht aufs Glatteis führen können! Respekt, Respekt, Ihr habt Euch einiges angelesen, junger Mann.«
»Es ist sicher nichts gegen Eure Gelehrsamkeit, Doctorus.«
»Nun ja, wenn man der Wissenschaft so lange dient wie ich, ist es zwangsläufig so, dass man anderen überlegen ist. Das musste sogar Paracelsus anerkennen. Ihr habt von ihm gehört?«
»Sicher.«
»Nun, Paracelsus, ich lernte ihn übrigens vor zehn Jahren im Lande der Eidgenossen kennen, Paracelsus also pflegte immer zu sagen: »Mein lieber Doctorus, wenn es jemanden auf dieser Welt gibt, dessen Heilkunst ich noch über die meine stellen würde, dann seid Ihr es!«
Vitus schwieg. Nur schwer konnte er sich die Bemerkung verkneifen, dass Paracelsus bereits Anfang der vierziger Jahre verstorben war.
»Was ich Philippus Aurcolus Theophrastus, so hieß Paracelsus in Wirklichkeit, allerdings übel nahm, war, dass er sich später meinen Beinamen »Bombastus« zu Eigen machte. Bombastus soll das Überwältigende und
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