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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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warte! Konzentriert sprach er weiter. »Nun zu Eurer These einer Sechs-Säfte-Lehre: Sie ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil, wie Ihr selbst behauptet, der Urin ein Konglomerat aller im Körper befindlichen Säfte ist, somit entstammt er aus den anderen vier und kann nicht als eigenständige Flüssigkeit gewertet werden.«
    »Nun, äh ...« Das linke Augenlid des Doctorus flatterte, was ihn für einen Augenblick fast normal aussehen ließ, doch dann war er wieder ganz der Alte. »Ihr habt nur das Wissen eines Bücherwurms, junger Freund, was Euch fehlt, ist die Praxis.«
    Er erhob sich und wandte sich erneut an die Menge:
    »Und nun, ihr guten Leute, geht die Behandlungsstunde weiter!« Vitus zuckte mit den Schultern. »Komm, Magister, dem Herrn Universalgelehrten ist nichts mehr beizubringen. Wir mischen uns unters Volk.« Sie traten beiseite, und neue Patienten drängten sich vor, darunter ein hagerer Mann mit geröteten Augen, der über andauernden Kopfschmerz klagte. Der Doctorus betrachtete ihn kurz, dann stand seine Diagnose fest: »Kopfgicht habt Ihr, guter Mann, und gegen Kopfgicht hilft rasch ein Ledersäckchen mit Pechblende, das Ihr Euch aufs Haupt legt, dazu nehmt Ihr eine Walnuss in die rechte Hand, doch nur die Nuss, nicht die Schale! Schon mein Freund Paracelsus übernahm diese Therapie von mir, und sie ist tausendfach bewährt.«
    Er bückte sich zu seinen Medikamenten und nahm das Verordnete auf. »Hier ist der Beutel.« Der Mann nahm ihn und tat ihn sich sogleich auf den Kopf. Dann griff er zur Nuss und betrachtete sie. »Aber wieso?«, fragte er schüchtern.
    »Das menschliche Hirn, mein Freund, gleicht in seinem Aussehen einer Walnuss, begreift Ihr jetzt?« Der Mann murmelte scheu einen Dank. »Macht einen Vierer ... der Nächste, bitte!« Weitere Kranke sprachen auf den Doctorus ein, doch Vitus' Aufmerksamkeit wurde von einem Reiter abgelenkt, der sich in gestrecktem Galopp der Menge näherte und erst kurz vor dem Podest sein Pferd parierte. Es war Arturo.
    »Vitus, he, Vitus!«
    »Was ist los?«
    »Ich komme direkt aus der Stadt.« Die Stimme des Fechtmeisters klang gehetzt. »Habe dort einige Besorgungen für die Truppe gemacht.« Er glitt rasch aus dem Sattel. »Die Frau des stellvertretenden Alcalden sprach mich an, »Senor«, sagte sie zu mir, »in Eurer Truppe soll es einen gelehrten Medikus geben, der sein Handwerk aufs Trefflichste versteht. Ich brauche dringend seine Hilfe, denn mein Mann ist schwer krank, seit Tagen ist er rot im Gesicht, und Luft bekommt er auch kaum noch!««
    Arturo beruhigte sich langsam. »Dann schlug sie mehrmals das Kreuz, »gesegnet sollt Ihr sein, Senor, wenn Ihr einer schwachen Frau helft.. .« So ging es noch eine ganze Zeit lang weiter, sie erzählte, dass der Arzt von Rondena selber unter Flüssen leide, dass ihr Mann schon lange krank wäre, wie schlimm das für die Stadt sei und so weiter und so weiter. Endlich hatte sie mich so weit, ich sagte ihr zu, dass unser Arzt sofort käme, um ihrem Gatten zu helfen.«
    »Unser Doctorus ist zur Zeit allerdings sehr beschäftigt«, gab der Magister zu bedenken.
    »Ich habe auch nicht an Bombastus Sanussus gedacht«, entgegnete der Fechtmeister.
    »Sondern?«
    Vitus ahnte, worauf der andere hinauswollte. »An dich! Wir sind Gaukler, Vitus, und als solche auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen der Obrigkeit ausgeliefert. Wir können es uns nicht leisten, einen Mann wie den stellvertretenden Alcalden von einem zweitklassigen Medikus behandeln zu lassen. Die Therapie muss erfolgreich sein, hörst du? Sie muss!«
    »Ich verstehe.«
    »Machst du's?«
    »In Gottes Namen, ja.«
    »Ich komme mit«, sagte der Magister.
    »Hm.« Vitus überlegte. »Es wäre das erste Mal, dass wir wieder in der Öffentlichkeit sind. Ein gewisses Risiko ist nicht von der Hand zu weisen, aber ich bin sicher, dass die Inquisition, sprich Bischof Mateo, inzwischen ihr Interesse an uns verloren hat.«
    Er nahm, einem plötzlichen Entschluss folgend, dem kleinen Gelehrten die Perücke ab, sodass dessen braune Haare wieder sichtbar wurden. »Deine Kreuznarbe auf der Stirn ist mittlerweile so verblasst, dass du die Locken nicht mehr brauchst.«
    »Dann kann auch der Spitzbart fort!« Entschlossen riss der kleine Mann sich das blonde Haarteil ab.
    »Beeilt euch, bitte!«, drängte der Fechtmeister. »Ihr könnt mein Pferd nehmen. Es ist zuverlässig und ausdauernd. Und bevor ich's vergesse: Der stellvertretende Alcalde heißt Francisco de la

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