Der Wanderchirurg
Selbstverständlichkeit. »Senora Lopez schläft auf deiner Seite, wir beide auf meiner. Die Wolldecke ist Trennung genug.«
»Wie du meinst.«
»Am besten, wir bringen sie gleich in unseren Wagen.«
»Du hast Recht, wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Und Ihr, Senor«, wandte Tirza sich an den Ehemann,
»sucht Euch eine Bleibe in Torrelavega, oder Ihr fahrt zurück an die Küste. Die Behandlung Eurer Frau wird länger dauern, vor einer Woche ist sie nicht wieder reisefähig.«
»Ja, so. In einer Woche dann.« Lopez drehte sich, ohne seine Frau eines weiteren Blickes zu würdigen, um und bestieg den Karren. Nachdem auch seine Kinder aufgesessen waren, schnalzte er mit der Zunge. Sein Brauner trottete gehorsam los. »Fahrn zurück anne Küste«, waren seine letzten Worte.
Die Patientin war in einen unruhigen Schlaf gefallen. Vitus und Tirzah lagen auf der anderen Seite der Wolldecke und waren bemüht, sich möglichst leise zu lieben. Zunächst hatten sie, eingedenk des Zustands der Kranken, Zurückhaltung geübt, doch die Natur war stärker gewesen: Sie hatten sich geküsst, liebkost, gestreichelt und schließlich, als Tirzahs Schenkel sich wie von selbst öffneten, hatte Vitus nicht länger widerstehen können. Behutsam bewegte er sich in ihr, spürte die Glut ihres Schoßes, fühlte, wie sie sich ihm entgegendrängte, ihn umfing und gänzlich aufnahm. Es war ein Gefühl, so stark, so übermächtig, dass er sich auf die Lippen beißen musste, um nicht laut aufzustöhnen. Als er merkte, dass er sich nicht mehr lange zurückhalten konnte, drehte er sich mit ihr, ohne sie zu verlassen, auf die Seite.
»Warum?«, wisperte sie an seinem Ohr.
»Ich weiß nicht, wie laut ich geworden wäre.«
Am Zucken ihrer Schultern spürte er, dass sie lachte. Er küsste ihre Halsbeuge und genoss das Gefühl, einfach in ihr zu sein. Der Tag war anstrengend gewesen: Nachdem Lopez davongefahren war, hatten er und Tirzah der Kranken ein heißes Arcanum mit Extrakten des rundblättrigen Sonnentaus verabreicht, wodurch der Hustenreiz abgeklungen war. Dann hatte Tirzah an den schmerzenden Stellen Olivenöl in die Haut eingerieben und anschließend Senfpackungen aufgebracht. Die Patientin hatte alles apathisch über sich ergehen lassen, hatte nur ab und zu nach ihrer Familie gefragt und war wieder in ihren dämmerartigen Zustand verfallen. Später hatte sich ihre Temperatur weiter erhöht, doch Vitus und Tirzah waren sich einig, dass abends das Fieber ohnehin zu steigen pflegte. Sie wollten den anderen Morgen abwarten. Vorsichtig zog Vitus sich aus Tirzah heraus. »Ich muss immer an Senora Lopez denken«, flüsterte er. »Bist du mir böse, wenn wir aufhören?« Statt einer Antwort kuschelte sie sich an ihn.
Joaquin war mit den Gauklern übereingekommen, seine Glasscheiben und Steine während Vitus' Behandlungsstunden anzubieten. Er stand mit seinen Waren am anderen Ende der Wagenburg, um den Cirurgicus durch die Lautstärke seiner Anpreisungen nicht zu stören. Vor sich hatte er einen Tisch aufgebaut, der mit einem schwarzen Laken bedeckt war. Einige von Vitus' wartenden Patienten, aber auch Schaulustige und Müßiggänger, hatten sich um ihn geschart. Staunend betrachteten sie die bunten Steine.
»Sind das Heilsteine?«, fragte ein teuer gekleideter vierschrötiger Mann, der den Arm in der Schlinge trug.
»Es gibt Steine, Halbedelsteine, Edelsteine und - den Stein der Weisen«, antwortete Joaquin, ohne genau auf die Frage einzugehen. »Ein jeder, ihr guten Leute, hat seine Vorzüge, aber es geht nichts über den Stein der Weisen: jenen Stein, der von so intensiver roter Farbe ist.«
Auf seinem Tisch lagen zahlreiche rote Steine in unterschiedlichsten Schattierungen.
»Erzählt mir von diesem Stein!«, forderte der Vierschrötige begierig. »Man sagt, man könne Gold damit herstellen.«
»Es gibt nichts, was der Stein der Weisen nicht vermöchte«, erklärte Joaquin feierlich. »Doch seine Herstellung ist eine Kunst für sich: Man muss wissen, dass der Stein der Weisen in Wirklichkeit ein Pulver ist, ein rotes Pulver ...«, seine Stimme nahm einen geheimnisvollen Klang an, »das Pulver der Projektion!«
»Warum heißt es dann Stein?«
»Die Weisen nennen das Pulver Stein, weil es wie ein Stein dem Feuer widersteht. Der rote Leu, wie es auch genannt wird, kommt in die Schmelze eines unedlen Metalls, wo es alsbald dafür sorgt, dass das perfekte Metall, also Gold, entsteht.«
»Und? Haltet Ihr ein solches Pulver feil?« Der
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