Der Wanderchirurg
Tuch aus, damit ihre Farben besonders gut zur Geltung kommen, dann erzähle ich den Leuten einiges über das Große Werk.«
»Das Große Werk?«
»Die Zubereitung des Steins der Weisen. Ihn herzustellen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, doch herrscht unter den Alchemisten weitgehende Einigkeit über die Abfolge der Farben, die bei dem Großen Werk auftreten. Es sind erstens wt-lanosis - die Schwarzfärbung, zweitens kukosis - die Weißfärbung, drittens xanthosis - die Gelbfärbung und zuletzt iosis - die Rotfärbung. Die letzte Stufe, die rote Farbe, zeigt die Reife an, in Analogie zum Reifezustand vieler Früchte. Der Rote Löwe ist deshalb ein Geheimname für den Stein der Weisen.«
»Und das alles erzählst du dem Volk, das staunend vor deinen Steinen steht?« Arturo legte den Lappen fort und nahm einen weiteren Schluck Wein.
»Das und noch einiges mehr.«
»Und welchem deiner Steine misst du die Kraft des Steins der Weisen zu?« Vitus wies fragend auf den Tisch.
»Keinem! Ich überlasse es ganz der Phantasie meiner Käufer, Zusammenhänge herzustellen.«
»Nicht ungeschickt, aber auch nicht ungefährlich«, wandte Arturo ein.
»Iwo! Wenn einer misstrauisch wird oder mich alchemistischer Umtriebe bezichtigt, sage ich ihm, dass er selbst Alchemist ist. Wenn er mich dann empört anschaut, erkläre ich ihm, dass nach dem großen Paracelsus jeder menschliche Körper Alchemist ist, also auch der seine: Sein Körper transmutiert die aufgenommenen Stoffe und erzeugt dabei neue, was allein schon dadurch bewiesen ist, dass der Mensch keinen Stoff aufnimmt, der so fest ist wie der Zahnschmelz.«
Vitus sagte nachdenklich: »Du kennst dich gut aus in der alchemistischen Kunst.«
»Halb so wild. Klappern gehört zum Geschäft.«
»Ich kenne jemanden, der sich gern mit dir darüber unterhalten würde.«
»Ich auch«, bekräftigte Arturo. »Was hieltest du davon, dich unserer Truppe anzuschließen?«
Die Kranke glühte vor Fieber. Sie lag auf einem Marktkarren, dessen Boden man mit Stroh notdürftig ausgepolstert hatte. Ihre Angehörigen, der Mann und die Kinder, standen teilnahmslos daneben. Es handelte sich um eine etwa fünfunddreißigjährige Frau, die über Schmerzen im Rücken und in der Seite klagte.
Vitus befand sich mit Tirzah vor dem gemeinsamen Wohnwagen und erwog, was zu tun sei.
»Wie lange ist Eure Frau schon krank?«, fragte er den Mann.
»Weiß nich, wir sin vonner Küste.«
»Aha.« Mit dieser Auskunft konnte Vitus nicht viel anfangen. Die Küste lag zwanzig bis dreißig Meilen entfernt, je nachdem, welchen Weg man einschlug. Er versuchte es anders: »Auf dem Weg hierher, hatte Eure Frau da auch schon Fieber?«
»Ja, glaub schon.«
Die Kranke verzog plötzlich das Gesicht, würgte, hustete qualvoll und spuckte vom Wagen herunter. Vitus sah, dass der Auswurf schleimig und eitrig war.
»Kann es sein, dass Eure Frau schon seit einer Woche oder länger Fieber hat? Überlegt genau!«
»Ja, weiß nich. Glaub schon.«
Aus dem Mann war nicht viel herauszuholen. Auch seine Kinder wirkten nicht viel aufgeweckter.
»Aber Euren Namen kennt Ihr wenigstens?«
»Ja, wieso?«
Vitus atmete tief durch. »Würdet Ihr ihn mir auch verraten?«
»Ja.« Der Ehemann blickte erstaunt drein, er schien Vitus' ungeduldigen Ton nicht zu verstehen. »Ich bin Ramos Lopez, un das is meine Frau.«
Vitus verkniff sich die Bemerkung, dass ihn dieser Hinweis nicht sonderlich überraschte. »Nun, Senor Lopez, alles deutet darauf hin, dass Eure Frau eine schwere Lungenentzündung hat, vielleicht noch eine Rippenfellentzündung dazu.« Tirzah nickte bestätigend, während sie der Patientin den Mund sauber wischte. Vitus fuhr fort: »Das Stadium ist sehr weit fortgeschritten, Senor, weshalb ich Euch auch nach der Fieberdauer fragte. Sie kann für die Behandlung von Bedeutung sein.« Er sah den stumpfen Gesichtsausdruck des Mannes und seufzte. Es würde keinen Zweck haben, diesem Menschen zu erklären, dass nach der Lehre des Hippokrates bei einer Pneumonie dem Fieber und dem Husten ein Auswurf folgt, der zunächst schleimig und zäh ist, nach dem achten oder neunten Tag jedoch eitrig zu werden beginnt.
»Ja, so«, sagte der Mann. »Isses gefährlich?«
»Immerhin so ernst, dass Eure Frau hier bleiben muss.«
Vitus blickte sich suchend um. »Die Frage ist nur, wo wir sie unterbringen.«
Tirzah wässerte ein Stück Verbandstoff und kühlte der Kranken damit die Stirn.
»Natürlich bei uns«, sagte sie mit großer
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