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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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haben!«
    Der Glasschleifer lachte. »Du bekommst den Beryll selbstverständlich umsonst, aber warte, erst mal wollen wir feststellen, ob es nicht einen anderen gibt, durch den du noch besser sehen kannst.«
    Nacheinander probierten sie eine Reihe weiterer Gläser aus, doch es zeigte sich, dass Joaquin gleich beim ersten Mal die richtige Linse erwischt hatte.
    »Jetzt zum anderen Auge«, setzte er munter fort, »denn die Fehlsichtigkeit ist am geringsten, wenn beide Seiten korrigiert werden.« Das andere Auge, ebenfalls kurzsichtig, erforderte ein weniger dickes Glas, hier dauerte es eine geraume Weile, bis Joaquin die richtige Linse herausgefunden hatte.
    »Und nun?«, fragte der Magister neugierig.
    »Ich kann doch nicht den ganzen Tag herumrennen und mir dabei die Scheiben vor die Nase halten.«
    »Das sollst du auch nicht. Das erledigt ein Gestell für dich. Es sitzt auf der Nase und hat zwei lange Bügel, die hinten über die Ohren gelegt werden. Das Ganze ist so praktisch, dass du es nach kurzer Zeit gar nicht mehr spüren wirst.« In der nächsten halben Stunde befestigte Joaquin die Gläser am Gestell, prüfte, bog, korrigierte, bis es bequem auf des Magisters Nase saß.
    »Es ist wirklich wie eine neue Welt«, flüsterte der kleine Mann andächtig, nachdem er abermals einen langen Blick durch die Linsen geworfen hatte. Dann nahm er den Apparat ab und steckte ihn in die Tasche. »Bin gespannt, was Vitus dazu sagt.«
    »Gut, dass ihr da seid«, begrüßte sie der Cirurgicus ernst, als sie auf ihn zutraten. »Ich habe eben nach Senora Lopez gesehen, ich fürchte, es geht bald zu Ende mit ihr.«
    »So schlimm steht es?«, rief der kleine Gelehrte erschreckt. Die Köpfe einiger Schaulustiger flogen zu ihm herüber.
    »So schlimm, ja. Ich versuche die ganze Zeit, irgendwo Schröpfkugeln aufzutreiben, um sie auf die vergifteten Stellen zu setzen, aber es ist nichts zu machen. Der Apotheker von Torrelavega hat keine.« Vitus zuckte resigniert mit den Schultern. »Wenn das Fieber morgen, spätestens übermorgen nicht sinkt, wird sie wohl sterben.«
    »Könntest du nicht operieren?«, fragte Tirzah, die Vitus'
    chirurgische Instrumente forträumte. Für heute war die Behandlungsstunde beendet.
    »Nein.«
    »Aber warum denn nicht?«
    »Weil es nicht geht.« Vitus' Stimme hatte etwas Endgültiges. »Zu dumm, dass wir nicht wenigstens Schröpfkugeln haben.«
    »Ach was!«, sagte der Magister forsch. »Euch wird schon etwas einfallen, irgendwie schafft ihr's bestimmt.«
    Er nickte Vitus und Tirzah aufmunternd zu. »Habe ich euch eigentlich schon erzählt, dass meine Kurzsichtigkeit verschwunden ist? Ich besitze jetzt Augen wie ein Adler.«
    »Wie bitte?««
    »Seht mich an!« Schwungvoll setzte der kleine Gelehrte sich das Gestell auf die Nase.
    »Ja, das ist doch ... Mensch, Magister! Du siehst aus wie eine Libelle!« Trotz der ernsten Situation musste Vitus lachen, Tirzah fiel mit ein.
    »Schön, dass eure Laune sich langsam bessert«, sagte der Magister spitz, »wenn auch auf meine Kosten.« Vitus nahm ihn in den Arm. »Nichts für ungut! Ich finde es großartig, wenn du dieses Ding da hast.«
    »Frag mich nach irgendetwas da hinten am Waldrand«, verlangte der Magister halb versöhnt.
    »Warte.« Vitus spähte zu den Bäumen hinüber. Die Entfernung betrug etwa eine halbe Meile. Weit und breit war nichts Ungewöhnliches zu entdecken, nur ein Kind, das auf dem Weg lief, der durch den Wald nach Torrelavega führte. Es bewegte sich flink, sein Kleid flatterte im Wind und gab dem Bild etwas Lustiges, gleich würde es zwischen den Bäumen verschwinden.
    »Schnell, Magister, siehst du das Kind dort am Waldrand?« Der kleine Mann blickte in die gezeigte Richtung. »Aber klar, so deutlich als stünde es neben mir.«
    »Gut, welche Farbe hat sein Kleid?«
    »Wenn's weiter nichts ist!« Der Magister gab sich souverän. »Es ist hellblau.«

    Senora Lopez war nur noch Haut und Knochen. Wieder lag eine Nacht voll unruhigen, fiebrigen Schlafs hinter ihr
    – eine Nacht, die keine Besserung gebracht hatte. Im Gegenteil, an diesem Morgen ging es ihr schlechter denn je. »Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich machen soll«, murmelte Vitus, als er ihren Puls fühlte. Selbst der Weidenrindensud, den die Kranke regelmäßig erhielt, zeitigte nicht die mindeste Wirkung.
    Sie wurde immer schwächer. Der Körper verglühte förmlich, das Fieber fraß die letzten Kräfte. Irgendetwas, und zwar möglichst rasch, musste geschehen. Er riss

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