Der Wanderchirurg
dieses Gebiet ist unser Ziel.« Sein mit einem blutroten Karneol geschmückter Mittelfinger zeigte auf einen Küstenstreifen am Golf von Guinea, in dessen Mitte eine Stadt namens El Mina lag.
»El Mina«, murmelte Fernandez nachdenklich, während er die Karte studierte. »Das ist ein Ort, in dem es vor Portugiesen nur so wimmelt, man schürft Gold dort, müsst Ihr wissen.«
»Gold!« Najeras Augen blickten sehnsüchtig. »Wenn wir's in unseren Besitz bringen könnten, brauchten wir die Sklavenfahrerei nicht.«
»Unsere Besatzung ist, mit Verlaub, nicht besonders kampferfahren, Capitan, und mit den zehn Infanteristen an Bord ist auch kein Krieg zu gewinnen.« Fernandez gehörte zu den wenigen, die sich nicht für Gold oder andere Reichtümer interessierten, seine einzige Liebe galt der See, den großen Ozeanen mit ihren navigatorischen Herausforderungen.
»Ich weiß, ich weiß.« Najera griff zum Weinglas, nahm einen Schluck zur Stärkung, stellte es wieder ab und setzte es dann, kurz entschlossen, ein weiteres Mal an seine schmalen Lippen. Die Mahnungen Vitus', dem Madeira nur in Maßen zuzusprechen, damit die Verstopfung sich nicht wiederhole, hatte er schon nach zwei Tagen in den Wind geschrieben - es ging ihm besser, und nur das zählte.
»Mit den Portugiesen da unten ist nicht gut Kirschen essen.«
Fernandez nickte. »Seit dem Vertrag von Tordesillas anno 1494, in dem wir uns verpflichtet haben, nur die Länder jenseits des großen Westmeers in Besitz zu nehmen, haben sie sich in den Negerländern ganz schön breit gemacht. Man sagt, sie beuten die Eingeborenen bis aufs Blut aus. Alles, was von dunkler Hautfarbe ist und arbeiten kann, zwingen sie unter ihre Knute: in den Goldminen, auf den Zuckerrohrplantagen oder als Ware, die nach Übersee geht.«
»Und von dieser Ware wollen wir uns einen Gutteil sichern«, versetzte Najera schwungvoll. Der angeekelte Tonfall seines Steuermanns war ihm nicht aufgefallen.
»Wir müssen nur heimlich in den Golf hineinschlüpfen und an einer Stelle ankern, an der niemand uns vermutet. Vielleicht zwanzig oder dreißig Meilen südlich von El Mina, dort soll es Negerhäuptlinge geben, die ihre Untertanen gegen billige Äxte und dergleichen eintauschen.«
Der Kommandant redete sich langsam warm. »Die Inseln Sao Tome und Principe müssen wir vorher natürlich unbemerkt passieren, was meint Ihr, sollen wir zwischen ihnen hindurchkreuzen oder sie von Süden kommend umfahren?« Es klopfte kräftig.
»Nein!«, rief Najera aufblickend. »Ich will jetzt nicht gestört werden!«
Doch Don Alfonso hatte sich schon durch die Tür hereingeschoben. Er zerrte ein Männchen hinter sich her, zwergenklein, mit feuerrotem Haarschopf.
»Melde gehorsamst, Capitan, hier ist der vierzehnte Mann!«
»Wie was?« Najera starrte auf den Winzling und begriff nicht.
»Der vierzehnte Mann, der neulich fehlte, Capitan, Ihr wisst doch, auf der Liste mit den »Schwei...«« Der Erste brach ab, denn ihm war eingefallen, dass Fernandez von dem Presskommando nichts wusste.
Najera dämmerte es. Widerstrebend betrachtete er den Zwerg genauer. Was er sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Der Knirps war klein, schwächlich, bucklig und ganz gewiss kein Seemann. Wer für diese Figur eine ganze Dublone - eine Dublone aus seiner Schatulle! - bezahlt hatte, musste verrückt sein. Wut schoss in ihm hoch, mit Don Alfonsos Ernennung zum Ersten Offizier hatte er den Bock zum Gärtner gemacht.
»Don Alfonso!«, rief Najera erbost. »Um der Barmherzigkeit der Gebenedeiten willen, verratet mir, wie diese bucklige Missgeburt die Arbeit eines ganzen Mannes tun soll!« Und als der Erste die Antwort schuldig blieb:
»Ich kann mir keine Aufgabe vorstellen, die solch ein Gnom bewältigen könnte!« Er wandte sich beifallheischend an Fernandez. »Oder Ihr etwa, Steuermann?«
Fernandez betrachtete den Zwerg, der bislang noch kein Wort gesagt hatte, obwohl sein Fischmündchen sich ständig öffnete und schloss. Er versuchte, sich in die Lage des Winzlings zu versetzen, und kam zu dem Schluss, dass die Art, in der hier über ihn gesprochen wurde, in höchstem Maße beleidigend sein musste. Dass der Kleine nicht freiwillig an Bord gekommen war, stand fest. Er, Fernandez, hatte schließlich Augen im Kopf und sehr wohl bemerkt, dass eine ganze Reihe von Männern gepresst worden war. Männer, die keine Seeleute waren, die Fehler begingen und deshalb fortwährend Bekanntschaft mit Battistas Tampen machten. Fernandez spürte Mitleid.
Weitere Kostenlose Bücher