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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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größte Kostbarkeit, die ich besitze! Sie musste um jeden Preis gerettet werden! In fieberhafter Eile hangelte er sich an Tauen und Relingstücken entlang in Richtung Bug.
    »Folgt mir!«
    Doch die Cargada kam ihm zuvor. Mit ohrenbetäubendem Krachen brach sie in der Mitte entzwei. Ihr hinterer Teil rauschte, mit dem Heck nach oben, steil hinab in die Tiefe. Vitus fühlte, wie das Deck sich von seinen Füßen löste, ihm für den Bruchteil einer Sekunde das Gefühl der Schwerelosigkeit vermittelte, bevor die See nach ihm griff und schäumend über ihm zusammenschlug. Das war es also, dachte er.

Der Korsar Sir Hippolyte Taggart

    » Unsere Beute sind spanische Schatzgaleonen, und zwar jene, die sich jedes Jahr, feige wie ein Schwärm Sardinen, zu einer Armada zusammentun, um gemeinsam das Westmeer zu überqueren.

    D ie Falcon war ein feines Schiff mit achtzig englischen Fuß Kiellänge zwar nicht so groß wie die Cargada de Esperanza, dafür moderner bewaffnet, mit Culverins, Half-Culverins und etlichen Sakers: Kanonen, die nicht so schwer waren wie die der Spanier, dafür deutlich weit tragender. So konnte sie sich selbst ungleich größere Gegner gut vom Leibe halten und sie aus sicherer Entfernung beschießen. Die Falcon war fest gebaut, aus bester englischer Eiche, und ihr Vorkastell war, im Gegensatz zu Schiffen spanischer Bauart, bei weitem nicht so hoch. Das brachte ihr den Vorteil, dass sie seitlich einfallenden Winden weniger Angriffsfläche bot.
    Sie verfügte über vier Masten, deren zwei vordere Groß-, Mars-und Bramsegel trugen, die beiden hinteren je ein Lateinersegel. Wenn sie unter vollem Zeug dahinpreschte, türmten sich ihre Segel wie Pyramiden über dem Wasser. Insgesamt wirkte sie so wohlproportioniert, geschmeidig und kraftvoll wie der Raubvogel, der ihr Namensgeber war - und der ihr als Galionsfigur am Bug voranflog.
    Vitus stand nur zwei Stunden, nachdem man ihn gerettet hatte, in sorgfältig ausgerichteter, quer zum Oberdeck verlaufender Linie neben den wenigen Kameraden, die überlebt hatten. Den Kreuzmast im Rücken blickten sie wartend, erstarrt zu Salzsäulen, hinauf zum leeren Kommandantendeck. Am Ende der Linie, die aus ihm, dem Magister, Rod, Gonzo, Fernandez sowie zwölf weiteren Überlebenden bestand, schritt ein rothaariger Hüne auf und ab, während zwei Maate wie die Schießhunde darauf achteten, dass keiner von ihnen aus der Reihe tanzte. Der Hüne war gut sechs Fuß groß, vollbärtig und von kraftvoller Statur.
    »Alles hört auf mich!«
    Vitus registrierte überrascht, dass er Spanisch sprach, wenn auch mit einem Akzent, als würde er im Mund einen Mehlkloß bewegen.
    »Der Kommandant muss jeden Moment erscheinen. Wenn ihr ihn seht, glotzt nicht auf Deck herum, sondern guckt geradeaus. Wenn er euch begrüßt, antwortet ihr laut und deutlich »Guten Tag, Sir!« Wenn er euch einen Befehl erteilt, antwortet ihr »Aye aye, Sir!«, das ist hier an Bord so üblich. Ansonsten sucht ihr euch einen Punkt über seiner linken Schulter, den ihr fortwährend anstarrt. Dann habt ihr genau den Gesichtsausdruck, der für gute Disziplin steht.«
    Die Männer, die nicht kräftig genug »Aye aye, Sir!«
    riefen, bekamen umgehend mit dem Starter, einem kurzen Tauende, eins zwischen die Rippen. »Aye, aye, Sir!«
    Lautes, dienstfreudiges Antworten schien in allen Marinen der Welt Pflicht zu sein.
    »Gut so.« Der Hüne schien zufrieden. Er wandte sich dem Kommandantendeck zu, auf dem in diesem Augenblick eine hagere Gestalt erschien, die eine abgetragene, aber peinlich saubere englische Marineuniform trug.
    Der Rotblonde grüßte stramm: »Sir, ich melde siebzehn Mann wie befohlen angetreten. Kein Engländer darunter, aber ein Schotte. Der Rest sind Spanier.«
    »Danke.« Die Antwort kam knapp und befehlsgewohnt. Captain Taggart trat mit zwei Schritten an die Querreling, legte die Hände darauf und sagte zunächst nichts. Er war zufrieden mit dem, was er sah: siebzehn seefeste Burschen, von denen manche zwar schmal wie die Heringe waren, aber immerhin, die Kerle waren durchgehend jung, mit Ausnahme des einen, der mindestens vier Jahrzehnte auf dem Buckel haben mochte, vielleicht auch fünf-so wie er selbst. Die Zufriedenheit, die Taggart über seinen Fang empfand, trug er keineswegs zur Schau. Vielmehr war sein Gesichtsausdruck so grimmig, dass manchem der Angetretenen eine Gänsehaut über den Rücken lief. Taggart grinste im Stillen. Die Burschen würden noch früh genug merken, dass er gar

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