Der Wanderchirurg
Thomas hier scheitern musste, denn die Krankheit war bereits so weit fortgeschritten, dass sie allenfalls gelindert werden konnte. Am besten würde es sein, Emilio etwas Laudanum zu geben, aber er hatte keines. Er besaß zwar eine kleine Portion Opium, aber keinen Alkohol, um damit eine Tinktur herzustellen. Nun gut, dann musste es eben ein Kräutertrank tun, dem er etwas Opium beigab. Wichtig war auch, dass er Zuversicht ausströmte.
»Siehst du, schon brennt es«, sagte er und versuchte einen Scherz: »Ich werde dir jetzt einen Zaubertrank aus meiner Hexenküche zubereiten, dass dir der Husten ein für allemal vergeht.« Ein bisschen Übertreibung konnte nicht schaden. »Er wird dir nicht besonders schmecken, aber deinen Bronchien gut tun. Und deinem rauen Hals auch.«
In Ermangelung eines Lotes maß er mit Daumen, Zeige-und Mittelfinger die entsprechenden Kräutermengen aus seinem Vorrat ab, zerbröselte dazu ein winziges Quantum Opium und warf alles in das heiß werdende Wasser.
»Die Extrakte müssen eine Weile ziehen, damit die Heilstoffe ihre Wirkung voll entfalten können.«
Er nutzte die Zeit, um Isabella aus dem Geschirr zu nehmen. Leise redete er auf das Tier ein und klopfte ihm beruhigend den Hals. Isabella antwortete mit einem zarten Spiel ihrer langen Ohren. Dann führte er das Tier zum Feuer, wo es Futter und Wasser bekam.
Als es satt war, verhielt es einen Augenblick und legte sich dann neben Emilio nieder, als wüsste es, dass sein Körper dem Kranken zusätzlich Wärme bot. Langsam wurde es dunkel, die Zikaden sangen ihr Lied, das Wasser im Topf begann zu brodeln. Vitus band Emilio los und legte ihn neben die wärmende Glut, in unmittelbare Nähe von Isabella. Das Maultier senkte den Kopf und begann an Emilios Ohrläppchen zu schnuppern, was einer Liebeserklärung gleichkam. »Sie merkt, dass es dir besser geht«, sagte Vitus.
»Ja, sie ist ein kluges Mädchen, obwohl ihr Vater ein Esel war«, grinste Emilio. Sein Humor gewann langsam wieder die Oberhand. Inzwischen war der Kräutertrank durchgezogen und genügend abgekühlt, sodass er ihn trinken konnte.
»Aaah, das wärmt die Brust von innen«, grunzte er.
»Ich fühle mich wie neugeboren!«
»Wie lange hast du schon diesen Bluthusten?«, fragte Vitus und legte etwas Brennholz nach.
»Das weiß ich nicht genau. Vielleicht zwei Jahre? Vielleicht drei?« Emilio nahm einen weiteren Schluck.
»Du hast Recht, schmecken tut's abscheulich.«
»Du müsstest im Süden leben, wo das Klima trockener ist, das würde dein Leiden vielleicht lindern«, sagte Vitus nachdenklich. »Jeder weiß, dass in feuchter Luft unsichtbare Stoffe schweben, die sich auf die Lunge niederschlagen können. Wie steht es überhaupt mit deinem Hunger? Ich habe einen Kapaun.«
»Jesus und Maria, bloß nichts zu essen!«, wehrte der Fuhrmann ab. Sein Blick ging nach Westen, wo die Sonne tiefrot hinter den Bergen versank. Er war glücklich, wieder beschwerdefrei atmen zu können. Der Kräutertrank mit dem Opium schien nicht schlecht zu sein. »So komisch es klingt«, sagte er nach einer Weile, »ich weiß nicht, ob ich achtundfünfzig oder neunundfünfzig Jahre alt werde. Niemand kann es sagen. Obwohl mein Geburtsdatum auf dem Altarflügel unserer Kirche eingetragen ist,
»29. Juli anno 1517« steht da neben meinem Namen. Aber irgendjemand hat die Jahreszahl geändert und aus der Sieben eine Acht gemacht. Das Dumme ist, es kann auch genau umgekehrt gewesen sein. Meine Mutter, die es wissen müsste, starb bei meiner Geburt, und mein Vater nahm sich kurz danach eine andere, mit der er für immer verschwand.«
»Das tut mir Leid.«
»Braucht es nicht. Ich will damit nur sagen, dass ich schon ziemlich alt bin und dieses Land nicht verlassen werde, nur weil ich einen Husten hab.« »Vielleicht hast du Recht.«
»Alte Bäume soll man nicht verpflanzen, Söhnchen. Komm, wir hauen uns aufs Ohr.«
Vitus stand auf, um seinen Stecken vom Karren zu holen. »Ich glaube, ich halte besser Wache. Du hast selbst gesagt, wie unsicher die Gegend ist.«
»Das überlasse getrost Isabella, die hat bessere Ohren als wir beide zusammen.« Emilio drehte sich demonstrativ auf die andere Seite und ließ knarrend einen Wind fahren.
»Gute Nacht, Vitus.«
»Äh, gute Nacht, Emilio.«
Er gähnte ausgiebig und setzte sich. Langsam fiel der Tag von ihm ab. Mit einer Nadel ritzte er vorsichtig seine Blasen auf, drückte die Flüssigkeit heraus und umwickelte die Ballen fest mit einem
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