Der Wanderchirurg
lege es jetzt auf meinen Handteller, siehst du, so ... Jetzt nimm's hoch, betrachte es von allen Seiten, und leg's wieder zurück.«
Was sollte das? Doch Vitus tat, was der andere wollte.
»Ist dir was an dem Brot aufgefallen?«
»Nein.«
»Gut, dann pass auf.« Amandus drehte seine Hand langsam, bis der Daumen nach oben stand. Zu Vitus'
Verblüffung blieb das Brot wie fest geklebt an seiner Stelle. Amandus drehte die Hand weiter, bis der Daumen nach unten stand. Der Handrücken verdeckte jetzt das Brot. »Wo ist es jetzt?«
»Hinter deiner Hand natürlich.« Vitus ging es mittlerweile etwas besser.
»Wenn du dich da mal nicht irrst.« Blitzschnell drehte Amandus die Hand zurück. Das Brot war verschwunden. Er zeigte seine andere Hand. Auch sie war leer. Amandus blickte vorwurfsvoll: »Irgendwer hat mich bestohlen! Ich glaube, du warst es, Vitus.«
»Ich? Ich habe dein Brot nicht!«
»Doch, du hast es, ich bin ganz sicher.« Amandus lächelte süß. Rasch beugte er sich vor, griff Vitus unter den Mantelkragen, und schon lag das Brot wieder in seiner Hand. »Na bitte!«, rief er vergnügt, »ich hatte doch Recht, du hast mich bestohlen! Ist das nicht wundervoll?«
»Alle Achtung!« Vitus konnte schon wieder lächeln.
»Hast du noch mehr solcher Tricks drauf?«
»Genug der Hexerei!«, mischte sich der Magister ein.
»Jetzt, wo das Brot wieder da ist, wird gegessen.« Er nahm die große Kelle und begann schwungvoll die Suppe umzurühren.
»Ich kriege nichts runter«, sagte Vitus, »du kannst meine Ration mitverteilen.«
»Kommt gar nicht in Frage! Nimm wenigstens Brot und Wasser. Es nützt niemandem, wenn du nicht bei Kräften bleibst.« »Also gut, dann Brot und Wasser für mich und meine Suppe für einen anderen.«
»Ich schlage vor, für Amandus. Er hat es sich mit seiner Vorstellung verdient.«
Amandus errötete verlegen. »Das ist lieb von dir, Magister, ich teile die Portion mit Felix.«
Er blickte seinen Nachbarn liebevoll an. Felix blickte liebevoll zurück.
»Also dann.« Der Magister schritt zur Tat. Nachdem jeder seine Portion erhalten hatte, setzte sich der kleine Gelehrte wieder zu Vitus und begann übergangslos zu essen. Die Suppe war eine dünne, bräunliche Brühe, in der hier und da ein schleimiges Kohlblatt schwamm. Der Magister genoss sie sichtlich. Plötzlich hielt er inne. »Ich Hornochse! Du kommst ja gar nicht an deine Ration heran!« Rasch gab er Vitus ein Stück Brot und einen Becher Wasser.
»Danke.«
Das Wasser schmeckte abgestanden, schien aber sonst in Ordnung zu sein. Vitus griff zu seinem Brot, doch der Magister hielt ihn zurück:
»Du klopfst es am besten erst mal aus, pass auf, so ...«
Er schlug es ein-, zweimal kräftig auf die Erde, woraufhin ein paar weißliche Maden herausfielen. Ihrer Behausung so plötzlich beraubt, wanden sie sich aufgeregt am Boden.
»Possierlich, nicht?«
»Hm, ja.« Vitus überwand sich und biss in den Kanten. Er konnte von Glück sagen, dass er gute Zähne hatte, denn das Brot war steinhart. Krachend kaute er, während sein Blick über die Wände mit ihren obszönen Malereien wanderte. Der Magister beobachtete ihn. »Seidentapeten sind natürlich schöner«, grinste er, »aber wir konnten uns die Unterkunft nicht aussuchen. Hauptsache, die Zeit geht rum. Mein Spielchen mit dem Kopftuch habe ich dir ja schon erklärt ...«
Er unterbrach sich, denn ihm kam ein Gedanke: »Ich wette, dass ich jeden Quadratzoll der Wände in diesem Loch kenne! Siehst du in der rechten hinteren Ecke die siebente Ziegelreihe von unten?«
»Ja natürlich.«
»Und findest du auch den neunten Ziegel von rechts?«
Vitus' Augen suchten und fanden den Stein. »Da ist ein ziemlich großer, äh ... erigierter Penis eingeritzt.«
»So ist es. Ein Prachtexemplar. Ich wette, ich könnte diese Manneszierde genauso klar mit verbundenen Augen sehen und beschreiben - vorausgesetzt, du würdest mir ihre Position vorher präzise genannt haben. Ja, ich würde sogar noch mehr sagen können: dass nämlich dieser Penis unter den vielen, die hier an die Wände geschmiert wurden, einzigartig ist. Er ist beschnitten, was du daran erkennst, dass unterhalb der Eichel die Ringe der zurückgezogenen Vorhaut fehlen. Die Vermutung liegt nahe, dass der Urheber dieses »Kunstwerks« ein Araber oder Jude war.«
»Äh, ja.« Vitus fand, dass der Magister zu sehr in die Einzelheiten ging. Er sah sich um. »Ganze Generationen von Gefangenen scheinen sich hier verewigt zu haben.«
»Du
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