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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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»Aber niemand kann so dumm sein und ernsthaft glauben, dass böse Mächte im Spiel sind, wenn ein Stück Hartbrot unter dem Hemd verschwindet.«
    »Ich bin nicht so dumm«, bestätigte ihm der Magister,»aber gilt das auch für die Inquisition?«
    »Kommt, Kinder, streitet euch nicht.« Amandus hob theatralisch die Hände. »Vitus, ich würde dir gern etwas vorführen, das jeder sehen kann und das nichts mit Zauberei zu tun hat. Aber leider geht's nicht.«
    »Und was ist das?«
    Amandus schwieg. Er genoss es, wieder Mittelpunkt zu sein. »Komm, spuck's aus«, forderte der Magister.
    »Nun ja, ich habe früher häufig mit Bällen jongliert, es ist eine Kunst, die beim Publikum immer gut ankommt.«
    Amandus griff Felix ins Hemd und holte zum x-tenmal das Brot hervor. »Man muss tagein, tagaus üben, um seine Geschicklichkeit zu erhalten. Ich konnte am Schluss mit fünf Bällen gleichzeitig jonglieren. Schade, dass ich's nicht vorführen kann.«
    Der Magister blinzelte ungläubig. Dann gab er sich süffisant:
    »Und ich konnte sogar mit sieben Bällen jonglieren. Aber da ich keine habe, kann ich's ebenfalls nicht vorführen.«
    »Du glaubst mir wohl nicht, du gemeiner Kerl?«, kreischte Amandus. Er stieß Felix in die Seite. »Tu doch was! Tu doch was!«
    »Ruhe!«, rief Vitus, dem ein Gedanke gekommen war.
    »Du behauptest also, du könntest mit fünf Bällen jonglieren?«
    »So wahr ich hier sitze.« Amandus war beleidigt. Vitus erklärte seine Idee.
    Am sechsundvierzigsten Tag seiner Einkerkerung hatte Vitus fünf Stücke Hartbrot gesammelt, und er begann seine Idee in die Tat umzusetzen.
    Das Brot lag gestapelt neben ihm auf dem Boden, während er breitbeinig dasaß, ebenso viele Becher zwischen seinen Knien.
    Aus einem Krug goss er Wasser in jedes Gefäß, bis es halb voll war. Dann tat er in jeden Becher ein Stück Hartbrot.
    Nach einer Stunde waren die Stücke so aufgequollen wie ein nasser Schwamm. Vitus stülpte einen der Becher um und fing den Brotschwamm auf. Dann knetete er ihn wie einen Schneeball, bis er rund wie eine Kugel war.
    »Da hätten wir den ersten Ball! Er muss nur noch durchtrocknen.«
    Rasch halfen ihm die anderen bei den restlichen Kugeln. Am Abend lagen fünf hühnereigroße Brotbälle vor Amandus.
    Sie waren trocken, hart, nahezu rund und ungefähr gleich groß. Amandus nahm zwei auf und wog sie prüfend in den Händen. »Als Jonglierbälle sind sie ein bisschen zu leicht, ich glaube, es geht nicht.«
    »Nur keine falsche Scham«, sagte der Magister.
    »Wenn die Bälle zu leicht sind, fliegen sie anders.«
    Amandus nahm drei in die rechte und zwei in die linke Hand. Dann fasste er sich ein Herz und stand auf. Rasch warf er die Kugeln nacheinander in die Luft, wobei er ihre Bahn mit den Augen verfolgte. Von den fünfen brachte er drei in Umlauf, aber zwei fielen herab.
    Beim zweiten Versuch fiel nur noch eine Kugel herab, beim dritten gelang es ihm, alle fünf für kurze Zeit in der Luft zu halten. Geschickt fing er die Kugeln nacheinander wieder auf, machte eine tiefe Verbeugung und strahlte über das ganze Gesicht.
    »Na bitte«, grinste der Magister, »ich hab's doch immer gewusst.«
    Zwei Wochen später wachte Vitus eines Morgens sehr früh auf. Er rieb sich die Augen und stellte fest, dass die Dämmerung gerade erst einsetzte. Sein Blick fiel auf die fünf Brotkugeln, die zwischen ihm und dem Magister lagen. Seit Amandus' erfolgreicher Vorführung war kein Tag vergangen, an dem nicht jeder dieses Kunststück versucht hätte. Zu Vitus' Überraschung hatte der Magister sich von allen als der Geschickteste erwiesen.
    Doch wie alle neuen Dinge hatte auch das Jonglieren allmählich seinen Reiz verloren. Langeweile war wieder eingekehrt. Vitus beschloss, dass es Zeit sei, sich dem Magister anzuvertrauen. Er rüttelte ihn am Arm. »He, Magister!« Der kleine Mann schmatzte im Schlaf und kam nur langsam zu sich. Dann gähnte er ausgiebig. »Was ist los, Vitus? Ich sehe keinen Grund, mich zu wecken. Es sei denn, die Stunde des Jüngsten Gerichts schlüge.«
    »Ich habe nachgedacht, ich möchte dir meine Geschichte erzählen.«
    »Dann sei dir verziehen. Schieß los, ich bin ganz Ohr.«
    Und Vitus begann. Er berichtete mit leiser Stimme von dem Leben im Kloster, von Gaudeck, Thomas, Cullus und den vielen anderen Brüdern, von der Ausbildung, die er erhalten hatte, und davon, dass der alte Abt Hardinus wie ein Vater für ihn gewesen war. Er erzählte, wie Pater Thomas ihn geduldig in die

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